II. Der theoretische Ansatz Franz Oppenheimers

Wir wechseln nunmehr in dieser Arbeit die Perspektive. Die Probleme, über die es mit den Mitteln der Gesellschaftswissenschaften nachzudenken gilt, dürften zwischenzeitig deutlich geworden sein. Der zweite Schritt müßte vieles zu ihrer Lösung leisten und kann doch nur manches davon. Immerhin ist FRANZ OPPENHEIMER in der Gegenwart ein nur wenig bekannter Wissenschaftler. Das heißt, mit der Vorstellung seines Werkes muß von einem Nullpunkt an begonnen werden, so wie die Person OPPENHEIMERs einer Vorstellung bedarf.

Ab S. 139 werden die wichtigsten Texte und Aussagen OPPENHEIMERs für unseren Zusammenhang dargestellt. In diesen Passagen halte ich mich mit eigenen Ausführungen zurück und gebe Originaltexten Raum. Ein konzeptionell neuer Abschnitt folgt S. 183, ab wo der Beitrag der OPPENHEIMERschen Grundlegungen zur Theorie der Sozialen Marktwirtschaft thematisiert wird.

2.1. Daten zur Person

FRANZ OPPENHEIMER wurde am 30. März 1864 als drittes Kind von ANTONIE OPPENHEIMER, geb. DAVIDSON, und Dr. JULIUS OPPENHEIMER in einer Mietskaserne, Berlin, Krausnickstr. 5, geboren. Die Familienverhältnisse sind besonders mütterlicherseits als intellektuell zu bezeichnen. Die Großmutter, geborene BENDA, stammte aus einer in Berlin alteingesessenen Familie, deren Mitglieder vorrangig Juristen, Gelehrte und Professoren waren. Als »Mitgift« konnten die Eltern ihrer Tochter ANTONIE und zwei Schwestern jedoch »nur« die beste für Frauen damals mögliche Ausbildung als Lehrerinnen mitgeben, da der Vater Dr. med. JOHANNES DAVIDSON bei einem winterlichen Einsatz arbeitsunfähig erkrankt war und die Familie sich fortan, auf den unermüdlichen Arbeitseinsatz der Mutter gestützt, nur ihren intellektuellen Stand erhalten konnte. ANTONIE OPPENHEIMER war dadurch geprägt von einer Kindheit, in der das Materielle nichts und die Kraft des Geistes alles galt. Sie gab ihre Haltung und erworbenen Kenntnisse an alle ihre Kinder und teils noch Enkelkinder weiter, lehrte sie von jung an mehrere Sprachen, bildete ihren Geist und ihre Herzen im Sinne der Ideale KANTs. Von ihr empfingen FRANZ OPPENHEIMER und seine nicht minder begabten Geschwister[233] die tragenden Impulse ihres Lebens: [S. 118]

„Sie »dressierte uns in Freiheit«, das war ihr Wort. Vertrauen war die Grundlage unseres Verhältnisses; eine Lüge ihr ins Antlitz wäre unmöglich gewesen und würde als das schwerste aller Verbrechen angesehen worden sein. Sie ließ uns scheinbar gehen, wie wir wollten, im Innersten sicher, uns dennoch fest am Bande zu haben; ein flehender Blick von ihr brach meinen Trotz, den Strenge oder Strafe nur gestärkt hätten. Nur Wahrheit forderte sie und lohnte unser Vertrauen durch die vollkommenste Gerechtigkeit. Ich habe in meiner »Soziologie« die Vermutung ausgesprochen, daß alle Gerechtigkeit, und das heißt alle Sittlichkeit, aus der tierischen »Kinderstube« stammt, weil die natürliche Mutter alle ihre Jungen mit gleicher Liebe behandelt; diese Weisheit danke ich ihr, und danke es ihr vor allem, wenn die Gerechtigkeit der Leitstern meines Lebens geworden ist.

Das ganze Haus stand durchaus im Zeichen KANTs: Selbstvertrauen der Vernunft auf der einen, Glauben an den kategorischen Imperativ auf der anderen Seite; vor diesem inneren Reichtum galt der äußere nichts; aller Mammonismus war nicht etwa nur verpönt, sondern lag geradezu unter der Schwelle des Bewußtseins. Es ist diese Einstellung gewesen, die mich viel später zu dem festen Bunde mit meinem unvergeßlichen Freunde LEONARD NELSON geführt hat, der mir, wie ich ihm, regelmäßig seine besten Schüler überwies. Wir wußten beide, daß wir in den vor aller Erfahrung gewissen Aprioris unseres Geistes, in der Logik und der Ethik, das unverrückbare Koordinatenkreuz besaßen, um die Erscheinungen zu ordnen und zu bewerten, und damit Ziel und Kompaß allen Lebens und Strebens.

Es war unser Ideal als akademische Lehrer, unseren Schülern die gleiche beglükkende Sicherheit zu geben und sie dadurch vor dem gräßlichen Relativismus dieser kranken Zeit zu retten, der fast alle steuerlos im uferlosen Ozean treiben läßt. Wir Menschen besitzen die eingeborene Fähigkeit, die Wahrheit und das Recht zu erkennen, und haben die Pflicht, sie auszubilden und gegen alle Versuchung zu kräftigen.“[234]

Von dem Vater, der durch seine Erwerbstätigkeit eher zu den außerhäuslichen Dingen eine Stellung beziehen mußte, übernahm FRANZ OPPENHEIMER eine gewisse Lebenshaltung. Als erstes Denkwort lehrte ihn der Vater: »Ich bin ein deutscher Mann, treu und wahr und ohne Lüge.« „Und wahrlich: aus seinem Munde ist nie ein unwahres Wort gekommen! So gütig er war, so trotzig stand er doch auf seinem Recht und hat manches Leid und manche schwere Kränkung dafür zu ertragen gehabt. Er war ein Weiser, ein Kluger war er nie; er folgte dem Gott in seiner Brust, ohne je zu zaudern.

(...) Nach einigen Wanderjahren als Religions-und Sprachlehrer wurde er als Prediger an die jüdische Reformgemeinde in Berlin berufen, eine Gemeinde, die mit der Orthodoxie des Ghetto radikal gebrochen hatte und nichts bewahren wollte, als den ethischen Grundgehalt der jüdischen Religion. (...) Mein Vater hatte mit der Annahme dieser Stellung die Schiffe hinter sich verbrannt; die Rückkehr zur Orthodoxie war ihm abgeschnitten; da es damals nur die eine Gemeinde ihrer Art in der Welt, zum wenigsten in Europa, gab, war er sozusagen an die Scholle gefesselt. Und die Gemeinde war klein und konnte ihren Geistlichen nur geringe Gehälter zahlen. Aber mein Vater gab frohen Herzens alle Möglichkeiten dahin, um mit seinem Gewissen nicht in Widerstreit zu geraten, nahm an und heiratete -auf ein Gehalt von ganzen 500 Thalern jährlich. [S. 119]

BIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT UND DIE FAMILIE FRANZ OPPENHEIMERS

Familie

Zweite Ehe mit Matilda Oppenheimergeb. Hollstarb 1921 bei einer Geburt im 5. Jahr der Ehe Dr. Julius Oppenheimeraus Uslar am Solling,gest. 1909 in Berlin,hatte 9-10 Geschwister, vorwiegend in Karlshafen,Uslar, Heiligenstadt undWarburg Antonie Oppenheimergeb. Davidson,älteste von zwei Schwestern und einem Bruder, ausgebildete Lehrerin Paula Dehmel geb. Oppenheimer1863 -1918 verheiratet mit Dr. Richard Dehmel 1867 -1920 Georg Oppenheimer 1872 an der Kindercholera verstorben Carl Oppenheimer geb. 21.02.1874 in Berlin Prof. Dr., Biochemiker Elise Steindorff geb. Oppenheimerverheiratet mit Prof. Dr. Georg Steindorffausgewandert nachLos Angeles Eva Oppenheimer geb. 1894 in Berlin gest. 1912 Ludwig YehudaOppenheimer geb. 1897 in Berlin Dr., Dozent in Jerusalem Heinz Oppenheimer geb. 1899 in Berlin Dr., Botaniker, Israel Renate Lenart geb. Oppenheimer1918 in Berlin verheiratet mit Ernest Lenart Hollywood, USA Dr. Johannes Davidson Arzt aus Pyritz in Pommern, späterPrenzlau, war mit Adolf Stahr, dem Biographen Lessings,eng befreundet Gabriel Oppenheimeraus Göttingen, später nachUslar verzogen Der Name der Ehefrau wird in den vorliegenden Biographiennicht genannt. Frau Davidson geb. Bendaseit 1690 in Berlin lebende Familie aus vorwiegendÄrzten, Juristen und Professoren Franz OppenheimerProf. Dr. med. et phil.geb. 30.03.1864 in Berlingest. 30.09.1943 inLos Angeles 1881 -1885 Studium der Medizin in Freiburg und Berlin 1886 -1895 praktischer Arzt inBerlin und gleichzeitig ab 1890 Beschäftigung mit sozial-politischen Problemen und der wissenschaftlichen Sozial-ökonomie. Anschließend pub-lizistische Tätigkeit als Chef-redaktteur der »Welt am Montag« und Mitarbeiter ver-schiedener Tageszeitungen. 1909 -1917 Privatdozent in Berlin ab 1917 Titularprofessor in Berlin1919 -1929 ordentlicher Profes-sor für Soziologie und theore-tische Nationalökonomie in Frankfurt am Main 1934 -1935 Lehrtätigkeit in Pa-lästina 1936 Ehrenmitglied der Amerika-nischen Gesellschaft für So-ziologie 1938 Lehrtätigkeit an der Uni-versität von Kobe, Japan anschließend Emigration nachLos Angeles, USA 1942 Gründungsmitherausgeberdes American Journal of Economics and Sociology Erste Ehe mit Marta Oppenheimergeb. Oppenheim

[S. 120] Und damit war seinen künftigen Söhnen der Rahmen ein für allemal gesteckt: die ehrenvolle Dürftigkeit eines akademischen Kleinbürgerhauses.“[235]

FRANZ OPPENHEIMERs geliebter älterer Bruder GEORG verstarb 1872 an der Kindercholera, was dem achtjährigen FRANZ zunächst den Impuls gab, den Arztberuf des Großvaters mütterlicherseits anzustreben. Mit 21 Jahren promovierte OPPENHEIMER unter der Leitung von PAUL EHRLICH in Medizin[236] und praktizierte daraufhin gut 10 Jahre. Was er während dieser Zeit an ländlichem und städtischem Elend sah, wegen schlechter Wohnverhältnisse wegsterbende Kinder, Armutsprostitution, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, verpfuschte illegale Abtreibungen etc., führte bei ihm zu der unangenehmen Gewißheit, als Arzt der sozialen Frage stets hinterherzulaufen, ohne deren Wurzel zu berühren. „Mich haben die Erfahrungen jener Jahre zum gläubigen Sozialisten gemacht, und ich habe, da ich den Kommunismus aller Spielarten aus guten wissenschaftlichen Gründen verwerfen mußte, rastlos einen anderen Weg gesucht, und bin überzeugt, ihn gefunden zu haben.“[237] War der Weg über die Medizin für den im gleichen Jahr wie MAX WEBER geborenen ein Umweg? OPPENHEIMER verneint:

„Ich habe immer das Gefühl gehabt, »geführt« zu werden: und, im Lichte meiner späteren Laufbahn gesehen, war der Weg über die Medizin der einzige zu meinem Ziele. Ich kam auf diese Weise als reifer Mensch mit den klarsten Vorstellungen über das Wesen und Sinn der Wissenschaft zu meinen neuen Studien, und diese Vorstellungen waren sehr viel präziser und -anspruchsvoller als die in der Nationalökonomie und Soziologie damals und leider noch heute herrschenden. Die strenge Methode der Naturwissenschaften saß mir im Blute, die ich, ein Gymnasiast, nie kennengelernt hätte, wenn ich von vornherein mich einer Geisteswissenschaft zugewendet hätte, und ich konnte meinem verehrten Freunde KURT BREYSIG nur recht geben, wenn er mir einmal von der »Zuchtlosigkeit« des geisteswissenschaftlichen Denkens sprach. Ich brachte weiterhin mit die genaue Vertrautheit mit dem Wesen und dem Funktionszusammenhang eines Organismus, ein Begriff, von dem die meisten meiner jetzigen Fachgenossen reden wie der Blinde von der Farbe; und die Gesellschaft ist eine Art Organismus[238]: und so ist es kein Wunder, wenn nicht nur der erste Begründer der theoretischen Nationalökonomie, FRANÇOIS QUESNAY, sondern außer ihm noch eine ganze Reihe genialer Ärzte in die Wirtschafts-und Sozialwissenschaft entscheidende Fortschritte gebracht haben: WILLIAM PETTY, BERNARD DE MANDEVILLE, CHARLES HALL, WILLIAM THOMPSON, AIMÉ HUBER. Ihnen allen war der Leitgedanke der ärztliche: hier ist ein kranker Organismus: [S. 121] wo steckt die »causa morbi« und die »sedes mali«, die Ursache und der Sitz des Übels? Dann mußte sich aus der Diagnose der Heilplan ergeben.“[239]

Die rastlose Suche nach einer Lösung blieb nicht ohne Resultat. Auf eine denkwürdige Nacht Ende 1893 datiert OPPENHEIMER seine »Gnadenwahl«. „Wie man in dunkler Nacht im Gebirge in einem Wetterleuchten eine ganze Kette von Gipfeln und Gletschern vor sich sieht, so sah ich damals in einem einzigen Augenblick die ganze Arbeit meines Lebens scharf vorgezeichnet vor mir.“[240] Am Anfang stand zunächst der Gedanke, den Ursprung der Reservearmee (und damit der »sozialen Frage«) im nachfeudalen Großgrundeigentum zu sehen und auf dem Wege über die Siedlungsgenossenschaft friedlich auflösen zu können, weil der Großgrundbesitz mit jeder gelungenen Siedlungsgenossenschaft an ausbeutbaren Arbeitern und damit an Wert verlieren würde, sich quasi von selber auflöse und mit ihm der Ursprung der Reservearmee verschwände. Doch wie gesagt: Das war der Ausgangspunkt einer 50jährigen Theoriearbeit, nicht ihr Endpunkt.

1895 erschien die Schrift »Freiland in Deutschland«, mit der OPPENHEIMER die Anhängerschaft THEODOR HERTZKAs in zwei Lager teilte. 1896 folgte die bekannt gewordene »Siedlungsgenossenschaft«, eine in hitziger Arbeit binnen drei Monaten niedergelegte und in 70 Tagen nochmals völlig überarbeitete 638 Druckseiten starke Schrift[241]. Während dieser Frühphase war OPPENHEIMER Mitglied in dem Kreis der »Freiländer«. Aus ihm heraus gründete HERMAN KRECKE 1894 unter dem Einfluß von BUSCH den Konsumverein »Hülfe« (? 283). GUSTAV LILIENTHAL, ein weiteres Mitglied der Gruppe, gründete 1894 die Baugenossenschaft »Freie Scholle«. Mit Rat und Tat beteiligt war OPPENHEIMER an der Hamburger Konsum-, Produktiv-und Baugenossenschaft »Produktion«. Und mit dem eigenem Geld machte er sich an die Gründungen der Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg (1893), Siedlungskolonie Eisenach (1905, mußte 1907 nach Sommerdürre und Kahlfrost aufgelöst werden), Siedlungsgenossenschaft Bärenklau (1920), unterstützte eine Gründung in Merchawjah im nördlichen Palästina in der Nähe von Haifa (1911) und stellte als Theoretiker maßgeblich die Weichen für einen Besiedelungsplan Palästinas via Kibuz/Siedlungsgenossenschaft (6. Zionistenkongreß in Basel, 1903) (? 319).

Doch bevor OPPENHEIMER im Jahre 1897 seine Praxis vollends aufgab, lebte er etwa zwei Jahre eine Dreifachrolle als Arzt, Schriftsteller und Autodidakt der Nationalökonomie. Der junge OPPENHEIMER schrieb Wanderbriefe, Liebesgedichte und verfaßte ein Theaterstück. Sein Talent im schriftlichen Ausdruck und Geschick, knapp entlang der Grenze der Legalität gegen den preußischen Obrigkeitsstaat opponieren zu können, trug ihm schließlich den Posten eines Chefredakteurs der »Welt am Montag« ein, die übrigens im selben Haus wie die Redaktion FRIEDRICH NAUMANNs residierte, den er aus dieser Zeit gut kannte. Verschiedene mit der Zeit erschienene Bücher und gehaltene Vorträge führten zu einem Bekanntheitsgrad OPPENHEIMERs, der ihm wider Erwarten eine ordentliche akademische Laufbahn [S. 122] als Gesellschaftstheoretiker eröffnete. GUSTAV SCHMOLLER (mit dem er praktisch keine Ansicht teilte) und ADOLPH WAGNER boten ihm 1909 über einen Mittelsmann die Habilitation an. Voraussetzung war eine geisteswissenschaftliche Promotion, die im selben Jahr in Kiel mit einer Arbeit über DAVID RICARDO zum Dr. phil. erfolgte. Ab 1909 hielt OPPENHEIMER abwechselnd Vorlesungen über theoretische und praktische Ökonomik sowie Geschichte des Sozialismus. „Schon 1912 im Wintersemester zählte ich in meiner vierstündigen Privatvorlesung über praktische Ökonomik mehr als zweihundertsechzig eingeschriebene Hörer, und meine öffentliche Vorlesung über KARL MARX' ökonomische Lehren war von mehr als tausend Studenten besucht, die das riesige Auditorium maximum nicht aufzunehmen imstande war. Sie saßen auf dem Podium, auf den Fensterbrettern und füllten stehend alle Gänge. Im Dozentenzimmer, wo sich die Sache herumgesprochen hatte, wurde der ergraute Privatdozent mit merkwürdigen Blicken beehrt: »Interessant, aber nicht ungefährlich!«“[242]

1919 wurde OPPENHEIMER auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Soziologie und theoretische Nationalökonomie nach Frankfurt a. M. berufen. Damit begründete OPPENHEIMER neben der Heidelberger Schule (MAX WEBER) die für ihren kritischen Ansatz bekannt gewordene Frankfurter Schule und war Inhaber des ersten ausdrücklich bezeichneten Soziologie-Ordinariates in Deutschland[243]. 1929 folgte die Emeritierung und Übergabe des Lehrstuhls an KARL MANNHEIM, im Dezember (!) 1938 die Emigration über Palästina und Japan nach Los Angeles, wo OPPENHEIMER am 30. September 1943 unter schwierigen Begleitumständen in voller Kenntnis der heimatlichen Lage verstarb.

Wenngleich die letzten Lebensmonate bislang im Dunkeln liegen, ist nicht unwahrscheinlich, daß OPPENHEIMER noch von Amerika aus Einfluß auf das weitere Geschick Deutschlands genommen hat. Er war befreundet mit ALBERT EINSTEIN, der sich mit einem Memorandum während des Krieges direkt an den amerikanischen Präsidenten gewandt hatte, war Ehrenmitglied der amerikanischen Gesellschaft für Soziologie und Gründungsmitherausgeber des »American Journal of Economics and Sociology«. Daß die Amerikaner LUDWIG ERHARD bei ihrem Einmarsch als »Demokrat« auf der Liste führten und ihn als Wirtschaftsminister »entdeckten«, hat möglicherweise den bis heute unerforschten Hintergrund, daß sich OPPENHEIMER bei den üblichen Emigrantenbefragungen gegenüber den Amerikanern mit Stimme von Rang für ERHARD verwendet hat, der zu den wenigen gehörte, die sich von dem zuletzt sehr isoliert lebenden OPPENHEIMER persönlich verabschiedet haben[244]. [S. 123]

2.1.1. Ludwig Erhard über Franz Oppenheimer

„Mein Weg war nicht klar vorgezeichnet. Nach dem ersten Weltkrieg habe ich -schwer verwundet -, wie damals üblich war, ein akademisches Studium angefangen. »Diplomkaufmann« zu werden war gar nicht meine Absicht, und das Studium hat mir auch in den Anfängen nicht sehr viel bedeutet. Ich kann das bei allem schuldigen Respekt vor dieser edlen Zunft nicht leugnen, um so mehr ich ja schon sehr frühzeitig zum volkswirtschaftlichen Denken hingelenkt wurde. Die Fortsetzung des Studiums in Frankfurt lag mal durchaus im Fahrplan der Diplomkaufleute.

Aber dort ereignete sich etwas Merkwürdiges. Dort herrschte bereits der Massenbetrieb unserer heutigen Universitäten. Gerade in meiner Disziplin gab es einige sehr gesuchte Professoren -über die ich gewiß kein nachträgliches Urteil fällen möchte. Das war eben so, daß, wer sein Examen leicht und schnell hinter sich bringen mochte, zu dem und jenem Lehrer ging; also habe auch ich mir Vorlesungen angehört -und war todunglücklich. Denn ich suchte wirklich Brot und fand meist nur Steine. Als es mir zuviel wurde, ging ich ins Dekanat, faßte mir ein Herz und fragte, ob und wo man denn hier Wissenschaft geboten bekäme. Man sagte mir etwa: »Ja, da ist schon einer da; er heißt FRANZ OPPENHEIMER, aber ich muß Ihnen gleich dazu sagen, daß Sie bei ihm nicht promovieren können. Das ist ein Außenseiter an unserer Universität; er hat auch eine ganz spezifische Lehre entwickelt, aber damit können Sie im Examen überhaupt nichts anfangen.«

Ha, das war immerhin eine Empfehlung und Trost für meine dürstende Seele. So also begegnete ich FRANZ OPPENHEIMER und war vom ersten Augenblick an fasziniert. Ich besuchte seine Seminare dazu, ohne auch nur einmal zu fragen, wie es um eine spätere Promotion bestellt wäre. Das war mir in diesem Augenblick völlig uninteressant. Es ist wohl ein guter Zufall gewesen, daß mir in der ersten Seminar-Diskussion etwas Brauchbares eingefallen ist. So lebte ich mich schnell ein und gehörte schon bald zu einem engen Kreis, ja man kann sagen Freundeskreis dieses wahrhaft großen Gelehrten.

Ich erinnere mich auch noch des kürzlich verstorbenen »FRITZ STERNBERG«, einen Feuerkopf, mit dem man stundenlang eifrig diskutieren und auch streiten konnte. OPPENHEIMER konnte das mit FRITZ STERNBERG auch -um es gleich zu sagen. Da war Leben! Praktisch hatte ich den ganzen übrigen Universitätsbetrieb abgeschrieben; das andere war lediglich eine lästige Pflicht. Seinerzeit mußte man auch noch nicht soundso viele Scheine und Klausuren nachweisen, wie das heute der Fall ist -man mußte nur eben zur rechten Stunde »fit« sein, um zu bestehen. Aber dieser ganze meist nur [S. 124] technische Ballast hat mich leichtsinnig sein lassen, weil ich mir dachte, daß man das ja wohl irgendwann einmal nachlesen könnte -aber studieren, das wollte ich bei FRANZ OPPENHEIMER.

Ein früherer Lehrer, WILHELM RIEGER -übrigens auch ein Verehrer von FRANZ OPPENHEIMER -, hat mich zur Wissenschaft hingeführt, aber wissenschaftlich denken gelehrt in straffer innerer Zucht hat mich FRANZ OPPENHEIMER, und das danke ich ihm noch heute! Ich erinnere noch, als er mir nach einem langen Gespräch sagte: »Sie sind ein theoretischer Kopf.« Ich kann dazu heute nur sagen: Alle nachfolgenden Ehrendoktoren, die ich erhalten habe, und sämtliche Orden bedeuteten mir keine so hohe Auszeichnung als von OPPENHEIMER zu hören, ich wäre ein »theoretischer Kopf«. (...)

Schließlich ging ich also dann doch zum Examen. OPPENHEIMER, der seinerzeit wegen einer Bronchitis einen Winter in Cellerina verlebte, sagte mit: »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie doch zu mir nach Cellerina.« Und so geschah es dann auch. Vorher waren wir uns schon oft außerhalb der Universität begegnet, auch in Sommeraufenthalten auf seinem Wohnsitz im Gute Rützendorf in Wrietzen. Dort lernte ich unmittelbar, von ihm selbst demonstriert, auch das Siedlungswesen in der Praxis kennen.

Zum eigentlichen Examen fragte er mich: »Ja, was soll ich Sie eigentlich prüfen; ich kenne Sie so gut und wir haben so viel diskutiert, daß alles klar ist.« Dann sind wir auf Bergfahrt gegangen. Es war, so glaube ich, in etwa 3000 Meter Höhe, als er mir sagte: »Jetzt verleihe ich Ihnen den 'höchsten' akademischen Grad -nämlich in 3000 Meter Höhe!«“[245]

„Er [OPPENHEIMER] lehrte mich klassische Nationalökonomie, er machte mich mit dem Wesen des wissenschaftlichem Sozialismus vertraut und führte mich über die Soziologie bis in die Bereiche der Philosophie. In seinem Haus und Freundeskreis erlebte ich Tage und Nächte hindurch die anregendsten Stunden, in denen nichts anderes zur Diskussion stand als das Suchen nach Erkenntnis und Wahrheit.“[246]

„Im Frühjahr 1945 war es endlich soweit, daß das Tausendjährige Reich, diese »Spottgeburt aus Dreck und Feuer«, wie nach einem göttlichen Gesetz in Rauch und Trümmern zusammenstürzte. (...) Von diesem ersten neuen Tage an verband mich mit den Amerikanern ein Vertrauensverhältnis, das sehr bald auch menschliche Züge annahm und mich erfahren ließ, daß man dort über meine politische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus sehr wohl Bescheid wußte. Das war denn auch bis dahin meine einzige politische Betätigung, und so kann ich wohl sagen, daß, was meinen späteren politischen Werdegang anlangt, ich eigentlich eine »amerikanische Entdeckung« bin. Sie haben mich sozusagen vom »Vogelherd« weggeholt und zum Bayerischen Wirtschaftsminister erkoren.“[247]

2.1.2. Erich Preiser über Franz Oppenheimer

„Es war nicht irgendeiner, den die Universität Frankfurt im Jahre 1919 auf den Lehrstuhl für Soziologie und ökonomische Theorie geholt hat. OPPENHEIMERs Lebenswerk [S. 125] war in den Grundzügen abgeschlossen. Aber es war umstritten, und man mußte wissen, daß hier nicht nur ein Soziologe -damals sozusagen als Verzierung -kam, sondern ein scharfsinniger und kämpferischer Nationalökonom, der die Luft seiner Heimatstadt Berlin mit sich brachte und über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt war.

In der Nationalökonomie fehlte es damals an der Einigkeit schon über die Grundlagen. Der Methodenstreit war freilich eingeschlafen, die Vorherrschaft der Historischen Schule, die sich in belanglosen empirischen Untersuchungen erschöpfte, zu Ende gegangen, aber es konnte immer noch vorkommen, daß ein in seinem Fach angesehener Kollege zu einem, der es erst werden wollte, mit herablassendem Schulterklopfen sagte: »Junger Mann, schreiben Sie erst einmal eine solide wirtschaftshistorische oder wirtschaftspolitische Arbeit -Theorie können Sie später noch genug treiben.« In dieser Theorie aber wiederum waren die platten Allerweltsweisheiten der Vorlesungen fast noch erträglicher als der Eklektizismus der Lehrbücher -ganz abgesehen von der apologetischen Haltung, in der die Nationalökonomie betrieben wurde. Die Marxisten andererseits, am Rande der Universität angesiedelt, blickten mit Verachtung auf die bürgerliche Ökonomik, obwohl sie ihrerseits zu Marxphilologen und argen Doktrinären geworden waren.

So ging, wer kritisch war, zu OPPENHEIMER. Hier gab es eine saubere Methode, eine an den Klassikern und an MARX geschulte Theorie, ein geschlossenes und widerspruchsfreies System, das mit der Erfahrung im Einklang zu stehen schien. Man mochte Vorbehalte machen; manches schien einseitig und überspitzt. Aber man hatte Boden unter den Füßen, und wer sich OPPENHEIMER anvertraute, wurde in strenge Zucht genommen. Seine Seminare galten als schwer, er ließ nichts durchgehen. Freilich, OPPENHEIMER stand zwischen den Fronten, und wer sich zu ihm bekannte, hatte es nicht leicht. Man war auf sich gestellt; denn auch der Kreis, der sich um OPPENHEIMER scharte, in Frankfurt und vorher schon in Berlin, war alles andere als homogen. Allzu verschieden war die Herkunft und waren die Interessen derer, die zu ihm stießen: Philosophen, besonders aus der Schule LEONARD NELSONs, Soziologen und Nationalökonomen. Allen bot er etwas, aber jeden ließ er gewähren, und wie sie kamen, so gingen sie auch wieder, jeder seinen Lebensweg: auf Lehrstühle, in die Verwaltung und in die Praxis, ohne daß man viel von der Gemeinsamkeit einer Schule spüren konnte. Wie verschieden sie waren, bezeugen schon die Namen derer, die ich wegen ihrer besonderen Beziehung zu Frankfurt als einzige nenne: ADOLF LÖWE, JULIUS KRAFT und GOTTFRIED SALOMON-DELATOUR, der uns schon als junger Privatdozent durch seine geistvollen Anregungen wie durch seine menschliche Wärme in den Bann gezogen hat. Es gab keine OPPENHEIMERschule, aber es gab die Schulung des Denkens bei ihm und durch ihn, und sie war es, die Frankfurt in den zwanziger Jahren neben Kiel und Heidelberg zu einem Zentrum der sozialwissenschaftlichen Ausbildung machte.“[248]

„Von Glück konnte sagen, wer als Lehrer eine Persönlichkeit fand, die als solche einen Halt bot. Ich glaube, es waren -für den jedenfalls, dem es um Theorie zu tun war nur zwei in Deutschland: JOSEPH SCHUMPETER und FRANZ OPPENHEIMER.“[249]

[S. 126] 2.1.3. Franz Oppenheimer über Franz Oppenheimer

„Mit großer Freude erfülle ich den Wunsch meines lieben Schülers und Freundes JOACHIM TIBURTIUS, seiner Schrift einige Geleitworte mit auf den Weg zu geben. Ist es doch meine eigene Sache, meines Lebens und Strebens Sache, die hier geführt wird! Und noch aus einem anderen Grunde: die Männer, gegen die hier mit ritterlichsten Waffen gestritten wird, meine verehrten Freunde WICHARD VON MÖLLENDORFF und WALTHER RATHENAU, sind des Schwertes würdig wie Wenige, Männer der lautersten Gesinnung, zähe und unermüdliche Wahrheitssucher, die mir noch ganz zu gewinnen der schönste aller Siege sein wird.

Ich kann das Wort nicht oft und laut genug sprechen: Nichts ist so praktisch wie die Theorie! Wenn ich seit fast einem Menschenalter, anfangs verspottet und verachtet, dann immer achtungsvoller angehört, unermüdlich meine These wiederholt habe, daß wahrer Liberalismus und wahrer Sozialismus nicht Gegensätze sind, sondern eines und dasselbe; daß nichts anderes als die freie, die endlich wirklich freie, d. h. von allen Monopolen befreite Konkurrenz zum Ziele des Sozialismus führen kann, zur mehrwertfreien und darum klassenlosen und darum brüderlich geeinten Gesellschaft der Freien und der Gleichen -wenn ich diesen wichtigsten aller Funde, diese froheste aller frohen Botschaften unermüdlich hinausrief, so war es wahrscheinlich kein unbefriedigter Literatenehrgeiz, der mich trieb, sondern mir ist die Kassandragabe in die Wiege gelegt worden, eine schwere Mitgift, und ich sah kommen, was gekommen ist, was kommen mußte, den Zusammenbruch unserer Welt im Kriege und im Bolschewismus. Ich wußte, daß die Kapitalismen und Imperialismen der verschiedenen Länder in ihrem Wettkampf um die Weltmärkte zusammenstoßen müßten, und wußte und sah schauernd, daß die sozialistische Volksmasse die Macht an sich reißen und nicht wissen würde, was damit anzufangen. Sah das heilige Ilion in Trümmer und Asche! Und versuchte zu warnen, zu bremsen, den dahinrasenden Wagen noch vor dem Abgrunde herumzureißen. Vergebens! Jetzt herrscht im weiten Rußland das Chaos, die Anarchie und die Diktatur der Fanatiker und Verbrecher, Hunger, Elend und Bürgerkrieg; alle apokalyptische Reiter sind zugleich losgelassen! Und unser Deutschland an der Schwelle gleichen Elends! Und das alles ist nur die praktische Konsequenz einer falschen Theorie, des in all seinen Grundlagen unanfechtbaren, aber in all seinen praktischen Folgerungen irrigen MARXschen Sozialismus! Nur er gibt den TROTZKY und LENIN, den LIEBKNECHT und LUXEMBURG den Glauben, der Berge versetzen will, und sich nicht darum kümmert, wenn dabei alles Leben vernichtet wird.

Versteht man jetzt, warum ich alle Kraft anwendete, um rechtzeitig an die Stelle der falschen die richtige Theorie zu setzen und sie zur Anerkennung zu bringen? Mich hat während eines Vierteljahrhunderts die Angst gehetzt, zu spät zu kommen, und die Hoffnung gespornt, vielleicht doch noch zur Zeit zu kommen. Wenn ich zuweilen keuchte und manchem als aufdringlicher Mahner und lästiger Ehrgeizling erscheinen mochte: das war der Grund!

Noch ist uns vielleicht die Zeit vergönnt, um unserem Lande das Allerschlimmste zu ersparen; und jedenfalls, auch schlimmstenfalls, müssen wir eine falsche Theorie der Wirtschaft abtun und uns der richtigen zuwenden, wenn wir Land und Volk aus tiefstem Sturz zu neuen Höhen sollen führen können, die ich -und zum ersten Male freute mich die Kassandragabe -von hellem Sonnenschein beleuchtet in naher Zukunft vor mir erblickte. Und darum, wahrlich nicht aus Literateneitelkeit, kämpfe ich heute noch verzweifelter als je gegen den alten Irrtum und für die neue Wahrheit und stachele meine Schüler zu gleichem Kampfe an.

Und am liebsten und unerbittlichsten dort, wo ich den guten Willen zur Sache, den unbestochenen Drang nach Wahrheit finde.“[250]

2.2. Reichweite und Grenzen des Ansatzes

FRANZ OPPENHEIMER hat den Glauben an seine Vernunft nicht verloren. Immer wieder prüfte er die Beweise und stellte sich seinen kritischen Schülern, ohne daß er einen gravierenden Fehler finden konnte. Wer derart mit strenger Methode zu Erkenntnissen gelangt, der darf nicht nur, sondern muß das Erkannte öffentlich vertreten, um so mehr wie das weitere Wohlergehen der Nationen von diesen theoretischen Klärungen abhängt und wie es unbequem ist, das Erkannte zu äußern, weil es den gewohnten Ansichten entgegensteht. Dieser Last hat OPPENHEIMER standgehalten, der sich als begabter Arzt sicherlich auch ein bequemeres Leben hätte einrichten können. Doch ließ ihm die Verantwortung des Sehenden keine Wahl und diktierte seinen Weg.

Die ausgestrahlte Gewißheit und innere Konsistenz seines Werkes zog die ebenfalls fragenden Studenten magisch an. ERICH PREISER beschrieb oben (? 125) den OPPENHEIMER-Effekt: „Man mochte Vorbehalte machen; manches schien einseitig und überspitzt. Aber man hatte Boden unter den Füßen ...“ Seinen Schülern war durch die Theorie ein fester Punkt gegeben, von dem aus sich die Gesellschaftswirtschaft ohne Schwindelgefühle betrachten ließ. Dagegen äußerte sich ein Dozent der Volkswirtschaftslehre mir gegenüber erst kürzlich folgendermaßen: „Ich komme mir vor wie jemand, der auf einem Floß steht, das in einem reißenden Fluß treibt. Alles dreht sich und ist voller Strudel. Und jetzt verlangen Sie von mir, daß ich mich auch noch bewege.“ Das in etwa beschreibt die Volkswirtschaftslehre hinter den scheinbar sicheren Modellen der Gegenwart. Und so in etwa stand es auch schon um die Dinge, als Deutschland das letzte Mal in eine aussichtslose ökonomische Sackgasse geriet und die radikalisierte Rechte einen Raubzug nach innen und außen organisierte. 1938 schrieb OPPENHEIMER:

„Soeben hat einer der bekanntesten Fachmänner Englands, JOHN MAYNARD KEYNES, über die »tiefen Meinungsverschiedenheiten« geklagt, »die zur Zeit den praktischen Einfluß der Theorie fast völlig zerstört haben«[251]. In der Tat: es gibt keinen Fußbreit gemeinsamen Bodens. Die Definitionen, die Grundvoraussetzungen, die Methode sind strittig, und für jedes Einzelproblem gibt es fast so viele »Lösungen« wie Theoretiker. So herrscht denn auch der schwärzeste Pessimismus in bezug auf den Stand der Disziplin, eine Stimmung, die immer trüber geworden ist. Vor hundert Jahren war man ihrer und seiner selbst so sicher, daß J. B. SAY sagen konnte, nichts weiter sei mehr zu tun als die alten Irrtümer zu vergessen.

[S. 128] Aber schon JOHN STUART MILL wurde in seiner Spätzeit zum Zweifler und Ketzer, und NASSAU SENIOR klagt betrüblich[252]: »Wir sind noch weit von der Grenze dessen entfernt, was wir wissen müßten und sollten, und noch weiter entfernt von irgendeinem Einverständnis über das, was wir wissen«. Wenn die Wissenschaft sich vielleicht nicht mehr in ihrer Kindheit befinde, so sei sie doch lange nicht zur Reife gelangt. Es gebe nichts als Streit, nichts Gemeinsames (41). Die Terminologie sei so schlecht, daß »ungesundes Denken unentdeckt durchgehen, und gesundes ohne Überzeugungskraft bleiben kann« (55).

Eine Generation später geht ALFRED MARSHALL noch weiter. Die Disziplin sei noch »in ihrem Säuglingszustande« (infancy)[253]; sie »rangiere mit den am wenigsten entwikkelten Naturwissenschaften« (S. 26), sie »könne niemals eine einfache Wissenschaft werden«. Und wieder eine Generation später sieht sein Schüler JOHN MAYNARD KEYNES sich gezwungen, eines der beiden grundlegenden Postulate aufzugeben, aus denen MARSHALL seine Lehre vom Lohn, und damit von der Distribution überhaupt, deduziert hat, und verbittert zu erklären, die heutigen Theorien seien »ein Gebräu, so ungenau wie die anfänglichen Voraussetzungen, auf denen sie beruhen, und welche dem Verfasser erlauben, die Verwicklungen und gegenseitigen Abhängigkeiten der wirklichen Welt in einem Wust anmaßender und nutzloser Symbole aus dem Gesicht zu verlieren« (S. 252). Das geht namentlich gegen gewisse mathematisierende Köpfe und den »Dunst ihrer sophistischen Erörterungen, in welchem nichts klar und alles möglich ist« (247).“[254]

Die Nationalökonomie steckte zu Lebzeiten OPPENHEIMERs in einer tiefen Krise. Als psychologistische Kapitalverwertungslehre bezog sie keinen gesamtgesellschaftlich verantwortlichen Standpunkt. Statt Theorie bot sie den Herrschenden, Starken und Monopolisten die Legitimation für ihr Verhalten und beschwor als herrschende Auffassung bzw. Auffassung der Herrschenden die größte Wirtschaftskrise auf deutschem Boden mit all ihren schrecklichen Folgen im politischen und gesellschaftlichen Leben herauf. Wo sieht man nun zwischen Wirtschaftskrise, faschistischer Machtübernahme und Kriegsende den großen theoretischen Fortschritt angelegt? Leisteten die verbliebenen Widerständler bei ihren geheimen Treffen etwa in den Wohnzimmern, was zuvor an den Universitäten nicht gelang? Oder hatte es schon lange vorher eine theoretische Nebenströmung gegeben, die anderen Vorstellungen folgte als üblich war? Hätten ERHARD, EUCKEN, PREISER und OPPENHEIMER die desolate deutsche Wirtschaft zehn Jahre vorher in ein »Wirtschaftswunder« überführen können? Und nehmen wir an, vom Standpunkt ihrer theoretischen Kenntnis wären sie bereits »reif« dazu gewesen, warum hat ihnen vor dem Krieg niemand eine Chance eingeräumt?

Wenn man dem Gedanken folgt, dann fällt auf, daß kein akademisches Auswahlverfahren, sondern ein politisch-ethisches die konzeptionellen Weichen der »Stunde Null« in Westdeutschland gestellt hat. Es wird wahrscheinlich, daß die Wissenschaft als Institution nach 1945 keineswegs ihren alten Anschauungen abgeschworen hatte, die den vorangegangenen Totalausfall aller kulturellen Standards mitverursacht hatte. Die Neuordnung der Wirtschaft vollzog sich nicht nach [S. 129] revidierten Ansichten, sondern eine von den Besatzern vorgenommene ethische Begutachtung hatte bestimmte Personen mit schon immer anderer Grundhaltung über alle anderen Köpfe hinweg an die Spitze des Staates gesetzt. Daraus folgt, daß die praktische Erklärung der jungen deutschen Wirtschaftsgeschichte möglicherweise nicht in ihrem theoretischen Hauptstrom gesucht und gefunden werden kann, sondern in einem Nebenzweig.

Ich will hier der Versuchung widerstehen, der Frage nachzugehen, was den Ansatz OPPENHEIMERs verdrängt hat. Nur stichwortartig sei angeführt:

  • OPPENHEIMER baute in der Gesellschaftswissenschaft[255], aber vor allem in der Nationalökonomie auf einem signifikant anderen Paradigma. Die unmittelbare Begleiterscheinung paradigmatischer Unvereinbarkeiten ist, daß Wissenschaftler sich nicht über den Gegenstand in einer Sprache austauschen können[256]. Wissenschaftliche Revolutionen finden deswegen in der Regel nicht innerhalb einer Generation durch Überzeugung statt, sondern durch die erworbene Gefolgschaft kommender Generationen[257]. Es stört die Kontinuität der Verbreitung eines Ansatzes empfindlich, wenn durch äußere Einwirkung, Verbrennung von Büchern, Vertreibung und Verleumdung auf eine Entwicklung Einfluß genommen wird.
  • OPPENHEIMER schrieb (? 189), daß nach dem Zusammenbruch der »historischen Schule« GUSTAV SCHMOLLERs (1917) an deren Stelle die Wiener subjektivistische »Grenznutzenschule« mit fast gleicher monopolistischer Ausschließlichkeit die Lehrstühle der Theorie besetzt hat. Nun reproduziert sich eine herrschende Schule in der Wissenschaft unter Umständen aber völlig unabhängig von ihrer Leistungskraft, wenn es dazu kommt, daß ihre Vertreter die Lehrpläne und Prüfungsinhalte diktieren, und somit das Zeitbudget der Studierenden mit bestimmten Inhalten besetzen. Liegt obendrein ein Paradigmenkonflikt dergestalt vor, daß die Anerkennung des einen das andere völlig unmöglich macht, das mühsam angelernte Wissen des Hochschullehrers also entwertet würde, dann ist es eine Frage von Interessen und Herrschaft, wer in dem Wissenschaftsbereich die Definitionsmacht über »Wirklichkeit« behält. [S. 130]

DIE STELLUNG FRANZ OPPENHEIMERS IN WISSENSCHAFT UND POLITIK

Stellung

St. Simon Adam Smith H. Ch. Carey J. St. Mill E. Dühring Th . Hertzka Franz Oppenheimer Leonard Nelson Th. Malthus David Ricardo Karl Marx Ludwig von Mises v. Hayek Röpke Eucken Rüstow Preiser Erhard Böhm Müller-Armack Lampe Weisser Eichler Nölting Sternberg Heimann Radikale Negation SPD CDU FDP Kapitalismus Marktwirtschaft mit politisch geschützten Machtpositionen etablierter Kräfte. Tendenz zur Klas-sengesellschaft über individualrechtliche Begründung. Soziale Marktwirtschaft Marktwirtschaft ohne politisch geschützte Machtpositionen. Tendenz zum Ausgleich aller Einkommen über freien Wettbewerb. Rechtsstaatlich gesicherter Marktzugang und ordnungspolitische Stärkung nachwachsender Kräfte. Sozialstaat Politisch for-mierte Gesell-schaft mit Markt. Ausgleich der Einkommen über staatliche Um-verteilung. Ten-denz zur Büro-kratisierung. Kommunismus Politisch formierte Gesellschaft ohne Markt. Staatliche Preis und Ein kommensgestaltung. Tendenz zum ineffi zienten Funktio närsdirigismus.
  • Schlußendlich ist zu nennen, daß bestimmte Folgerungen aus der Theorie mehr als unbequem sein können. „Wie NASSAU SENIOR erzählt, hat der Erzbischof WHATELY ausgesprochen, »daß selbst die Theoreme des Euklid angefochten werden würden, wenn einmal finanzielle und politische Interessen mit ihnen in Widerstreit geraten würden«. IRVING FISHER hält den Ausdruck für »kaum übertrieben«.“[258] FRANCISCO GOMEZJARA folgend, kann man auch in Deutschland fragen, inwiefern unsere Wissenschaft tatsächlich dem Erkenntnisfortschritt dient oder »an den Masttrögen unkritischer Forschung überwintert«[259].

Mit der vorstehenden Grafik wird in erster Linie der Versuch unternommen, einen groben Überblick zu vermitteln. Weitere Angaben können mit Hilfe des Personenregisters dieser Arbeit recherchiert werden. Es ließ sich nicht vermeiden, daß eine Reihe von Personen, die Einfluß genommen haben oder Schüler waren, ungenannt blieben. Beispielsweise standen die OPPENHEIMER-Schüler ADOLF LÖWE und GOTTFRIED SALOMON auch in engem Kontakt zu NORBERT ELIAS während dessen Assistentenzeit bei KARL MANNHEIM, mit welchem Effekt auch immer. OPPENHEIMER-Promovend HANS ACHINGER berichtet von den mit Geist und Witz geführten Auseinandersetzungen, in denen THEODOR W. ADORNO und WALTER BENJAMIN GOTTFRIED SALOMON herausforderten etc.[260]

Namentlich bekannt sind auch zwei der Assistenten OPPENHEIMERs: JULIUS KRAFT und FRITZ STERN. Die Festschrift für FRANZ OPPENHEIMER zu seinem 60. Geburtstag enthält weitere Namen von Freunden und Schülern[261]. In Amerika fanden im American Journal of Economics and Sociology neben OPPENHEIMER folgende Schüler zusammen: GOTTFRIED SALOMON, OSCAR JÁSZI, CONSTANTINE PANUNZIO, EDUARD HEIMANN, ADOLF LÖWE und FRIEDA WUNDERLICH[262].

[S. 132] 2.2.1. Kritische Gesellschaftstheorie[263]

Bei weitem nicht alles, was OPPENHEIMER im Laufe seines Lebens als Entdecker angefangen hat, ist von ihm auch vollendet worden. OPPENHEIMER sah seine erste Aufgabe in der Überwindung tief verwurzelter Irrtümer, an denen die Wissenschaft irre ging, weil die Überlegungen der vorangegangenen Generationen nie anhand eines geschlossenen Systems geprüft wurden. Seine Äußerung gegen die »Zuchtlosigkeit in den Geisteswissenschaften« ist ein vor allem gegen die geisteswissenschaftlichen Methoden der sprachvermittelten Analytik, Logik und Beweisführung gerichteter Anwurf. OPPENHEIMER hat die Theorien, mit denen er sich befaßte, immer erst aus ihrem tiefsten Grunde und in ihrer Substanz nachvollzogen, um sie dann aus sich heraus, aus ihren eigenen Prämissen, zu widerlegen, zu relativieren oder anzuerkennen. Man kann OPPENHEIMERs methodischen Anspruch nur auf Umwegen beschreiben, da es meines Wissens keinen verdichteten Qualitätsbegriff für diese Geisteshaltung gibt, außer vielleicht jenen des »kritisch-konstruktiven Theoretikers«, der einerseits nichts unbesehen glaubt und andererseits die Dinge von Wert trotz kritischer Haltung erkennt, um ihnen einen Ehrenplatz im eigenen Werk zuzuweisen. OPPENHEIMER berichtet:

„Seit Jahren und Jahren stand sozusagen das Gespenst RICARDOs an meinem Bette, das Gefühl der Verpflichtung, mich mit der entscheidenden Leistung dieses größten Theoretikers unserer Wissenschaft neben dem Deutschen JOHANN HEINRICH VON THÜNEN, mit seiner Theorie von der Grundrente, auseinanderzusetzen. Hatte ich immer Widerstände zu überwinden, ehe ich an eine neue Aufgabe herantrat, so waren sie hier besonders groß. Ich wußte, daß ich es mit dem gewaltigsten Gegner zu tun haben würde, daß es gelte, jedes von dem scharfsinnigen Manne gespaltene Haar noch einmal zu spalten. Jetzt war der psychologische Moment zum entscheidenden Sprung gekommen [angesichts des Willens zur Erlangung des philosophischen Doktorgrades mittels einer neu verfaßten Arbeit, W.K.]), und ich vollendete in wenigen Monaten den ziemlich starken Band. Hier geht es, um ein Gleichnis zu gebrauchen, über das ADOLF WAGNER sich köstlich amüsierte, just so wie in dem gerühmten Ritterstück, wo zuletzt alle handelnden Personen tot auf der Bühne liegen. RODBERTUS hatte vor mehr als einem halben Jahrhundert RICARDOs Theorie mit seinem »Problem von der isolierten Insel« angegriffen, durch das er ihn endgültig widerlegt zu haben behauptete. RICARDO hatte in zwei der besten Männer der deutschen Theorie, in LEXIS und DIEHL Verteidiger gefunden. Ich konnte nun nachweisen: erstens, daß diese beiden Männer den RODBERTUSschen Angriff nicht hatten abweisen können; zweitens konnte ich eben diesen RODBERTUSschen Angriff selbst mit den Mitteln der RICARDOschen Theorie völlig widerlegen, indem ich als erster jenes Problem löste; und drittens und schließlich konnte ich dann zeigen, daß die RICARDOsche Theorie auch falsch ist, und zwar aus dem Grunde, weil sie nur einen Teil der aufgegebenen Erscheinungen erklärt, also nur eine Teiltheorie ist, sich aber selbst für eine volle Erklärung, für eine Volltheorie hält. Ich werde nie die komische Verzweiflung vergessen, in die ADOLF WAGNER geriet, als ich auf seine Frage, [S. 133] wie ich denn zu RICARDO stünde, die Antwort gab: »Die Theorie wird sich nicht halten lassen.« Er schlug buchstäblich die Hände über dem Kopf zusammen und Schrie: »Die auch nicht? Die auch nicht? Ja, um Gottes willen, was bleibt dann noch übrig?«“[264]

Es ist für OPPENHEIMER kein Widerspruch, an RICARDOs streng deduktiver Methode der Theorieentwicklung (bei OPPENHEIMER aus zuvor induktiv gewonnenen Prämissen) anzuknüpfen und ihn dennoch zu revidieren. Er konnte EUGEN DÜHRING auf der Sachebene die größte Anerkennung als Theoretiker aussprechen, wissend, daß dieser ein geradezu fanatischer Antisemit war, was er niemandem auf persönlicher Ebene durchgehen ließ[265]. Über MARX schrieb er, daß er dessen Folgerungen hinsichtlich der Notwendigkeit eines kommunistischen Staates mit der heiligen Abscheu des liberal-bürgerlich Sozialisierten ablehnte, und er empfahl ihn dennoch als einen »Meister«, mit dem es sich zu ringen lohnt, weil er an Scharfsinnigkeit alles Gewesene seiner Zeit überstrahlt und es bei ihm natürlich, selbst wenn man nicht in allem übereinstimmt, viel zu lernen gibt. ALEX BEIN schrieb, OPPENHEIMER habe den Eindruck vermittelt,

„daß er es liebte, Widerspruch zu erregen, und daß es auf jeden Fall unmöglich war, ihm einfach zuzuhören, wie man einem andern Vortrag zuhört. Er zwang seine Hörer, Stellung zu nehmen, sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen, ja oder nein zu sagen, oder sich zu entschließen, die Frage eingehender zu studieren. Mir scheint, darauf beruhte auch sein großer Einfluß auf seine Schüler an der Universität und ebenso auf alle, die seine Schüler durch die Lektüre seiner Bücher wurden. Er lehrte sie, nichts kritiklos zu übernehmen, keine Autorität anzuerkennen, ohne ihre Lehren und deren Grundlagen selbst geprüft zu haben -auch nicht seine eigene Autorität; sich des Lehrers würdig zu erweisen durch eine fruchtbare Kritik, so wie er selbst es als eine Pflicht ansah, sich seinen Vorgängern gegenüber zu verhalten: von ihnen lernen und seine Treue zu ihnen dadurch zu beweisen, daß er selbständig forschte und prüfte, daß er dankbar anerkannte, was er wahr an ihnen empfand, und daß er alles, was ihm nicht begründet genug erschien, kritisierte, negierte und ablehnte.“[266]

Seinem System der Soziologie stellte OPPENHEIMER 1922 als Vorwort voran:

„Dieses Buch läßt sich der Karte Afrikas vergleichen, wie sie die Atlanten meiner Jugendzeit darstellten: ein verläßlicher Umriß, einige gut bekannte und kartographisch völlig ausgeführte Gebiete, viele zweifelhafte Einzelheiten -und eine Menge weißer Flecken! Ich weiß, daß ich die Aufgabe nicht lösen konnte: kein Einzelner kann sie lösen. Man müßte Fachmann auf allen den unzähligen Gebieten der so weit verzweigten, so sehr spezialisierten Sozialwissenschaften und darüber hinaus der Psychologie und der Philosophie sein, und außerdem sehr gründliche Kenntnisse der Mathematik und Biologie besitzen. Unter diesen Umständen wird man mir die Frage vorlegen dürfen, ob [S. 134] es nicht ein Fürwitz war, daß ich mir die unlösbare Aufgabe dieser ersten »Zusammenschau« des ungeheuren Materials überhaupt stellte, und ich bin verpflichtet, darauf Rede und Antwort zu stehen. Ich hoffe, in diesem Buche die Grundlage zu schaffen, auf der eine große Zahl von Fachmännern der verschiedenen Gebiete in vereinter Arbeit ein vollkommeneres System der Soziologie errichten werden, sei es in Gestalt eines Handbuchs oder eines Handwörterbuchs. Dieser Heerschar der Zukunft wünsche ich das Baugelände reinlich zu bereiten; indem ich es von dem Gestrüpp falscher Auffassungen säubere.“[267]

Weil FRANZ OPPENHEIMER diesen Anspruch m. E. erfüllen konnte, gelang es bedeutenden Persönlichkeiten, in Folge ihr Werk zu errichten.

2.2.2. Die Lehre vom Bodenmonopol

Kommen wir nun zu jenem Teil der OPPENHEIMERschen Lehre, mit dem er sich wohl die meisten Sympathien verscherzt hat und auf den wenig geneigte Fachkollegen stets zuerst (und oft alleinig) verweisen, wenn es gilt, OPPENHEIMERs Theorie als Unfug abzustempeln. Die schärfste Zuspitzung des Streitpunktes mündet in dem Satz, daß der Kapitalismus überwunden sei, wenn das große Grundeigentum beseitigt wäre. Alle seine Schüler - und OPPENHEIMER selbst -waren stets geplagt von Zweifeln, ob der mittels der Logik gewonnene Satz seine Richtigkeit haben würde.

Wie scharf begründet der Beweis von OPPENHEIMER auch gewesen ist und unwiderlegt im Raume stehen blieb, ihn mochte niemand hören, weil die These von der Aufhebung des Kapitalismus durch Beseitigung der Bodensperre einfach zu fantastisch klang. Meines Erachtens hat die Kämpfernatur OPPENHEIMER in dieser Angelegenheit eine Falle gestellt. Wenn jemand einen Gedanken tausendfach durchdacht hat, bildet sich im Gehirn quasi eine »neuronale Schnellstraße«, auf der die Gedankenkette entlanggleitet, aber mit zunehmender Geschwindigkeit das widersprechende Detail nicht mehr sieht. OPPENHEIMER hat eine historische Kategorie, aus der er sehr viel gelernt hat und eine allgemeine Theorie entwickeln konnte, nicht in ihrer Eigenschaft als Spezialfall erkannt. Nach der Induktion über die historische Kategorie und Bildung des Systems hätte er sich von dem Quellpunkt seiner Erkenntnis ablösen, das Problem der Eigentums-und Verfügungsrechte allgemein formulieren und das Grundeigentum als historisch dominanten Spezialfall einordnen müssen. Dieser Sprung ist ihm nicht mehr gelungen, so daß man sich unweigerlich erinnert sieht an OPPENHEIMERs Bemerkung gegenüber RICARDO, der seine Teiltheorie als Volltheorie ansah, und MARX, dem das Klassenmonopolverhältnis zwischen Arbeiter und Kapitalist als Spezialfall einer allgemeineren wirtschaftlichen Monopoltheorie verborgen blieb. Es ist eben wirklich so, wie KUHN es ausdrückte: Wohin man seinen Blick wendet, das sieht man[268]. Und es scheint sich der Blick in typischer Weise verengt zu haben, wie dies gerade bei Anwendung [S. 135] der deduktiven Methode ungestraft möglich ist, da ihr eine Aussage solange als »wahr« gilt, bis sich eine Tatsache findet, die mit ihr im Widerspruch steht. Eine solche Tatsache ist OPPENHEIMER nie bekanntgeworden, so daß er an die Richtigkeit per logischem Schluß glauben mußte und nicht etwa nur durfte.

Der »Fehler« ist denn auch außerhalb des strengen Beweises, nämlich im angenommenen Gültigkeitsbereich zu suchen. OPPENHEIMER hat einen anhand historischer Tatsachen gewonnenen Zusammenhang nicht hinreichend auf seine historische Gültigkeit hin abgegrenzt und vermutlich nie den Gedanken konsequent durchgespielt, welchen Einfluß eine Verschiebung von der früher vorwiegend agrarischen Produktion zur industriellen Produktion auf das Klassenmonopolverhältnis im agrarischen Sektor haben würde. Es wäre somit kein schwerwiegender Fehler in der OPPENHEIMERschen Rechnung, sondern eine unvorsichtige Fortschreibung der historischen Konstellation in eine neue Epoche hinein, in der der industrielle Sektor dem agrarischen Sektor die Relevanz abläuft, wenn man so will als Faktor einer allgemeineren Rechnung von 5 % auf 80 % anschwillt.

Kann man daraus ableiten, daß OPPENHEIMERs Annahme der Überwindbarkeit des Kapitalismus falsch ist? Wohl kaum, denn die Ausgleichung aller Einkommen durch monopolfreien Wettbewerb bildet den Kern seiner allgemeinen Theorie, während die Forderung nach Aufhebung des großen Grundbesitzes den Kern seiner zeitgebundenen sozialpolitischen Forderungen bildet. Und ob diese im Jahre 1894 falsch gewesen ist, muß erst einmal gesondert festgestellt werden.

In der Entwicklung von Industriegesellschaften gibt es eine typische Abfolge, in der das durch Eroberung gewonnene große Grundeigentum eine mächtige Rolle spielt. 1913 schrieb OPPENHEIMER relativierend über seine eigene Anschauung:

„Ich glaubte vor siebzehn Jahren, wie fast die ganze Wissenschaft noch, an die »absolute Verelendung« der Arbeiterklasse; ich habe der »organischen« Gesellschaftslehre mehr zugebilligt, als ich heute tun dürfte; ich glaubte vor allem noch an keine andere Möglichkeit, die große Frage zu lösen, als auf dem Wege über die landwirtschaftliche Arbeiterproduktivgenossenschaft. Ich war also damals, um marxisch zu sprechen, noch ein ganz klein wenig »Utopist«. Denn zwar dachte ich nicht daran, die neue Ordnung »aus dem Kopfe zu erfinden«, aber ich hielt doch das menschliche bewußte Eingreifen für unentbehrlich, um den Heilungsvorgang einzuleiten. Zwei Jahre später, in meinem »Großgrundeigentum und soziale Frage«, hatte ich diese letzte Eierschale des Utopismus bereits abgestreift und mich zum »wissenschaftlichen Sozialismus« durchgerungen, der »mittels des Kopfes die künftige Ordnung in den Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft selbst zu entdecken versucht«. Ich schrieb (S. 477): »Das Großgrundeigentum ist unrettbar krank; keine Maßregel privater oder staatlicher Fürsorge kann es erhalten«, und (S. 490): »Nötig ist die landwirtschaftliche Arbeiterproduktivgenossenschaft nicht. Es brauchte kein glücklicher Entdecker zu kommen, um die »soziale Frage zu lösen«. Sie ist kein Problem für einen »Heros« des Witzes, sondern die Krankheit eines gewaltigen Körpers. Der heilt sich selbst, ohne Arzt, ohne Heros.« Nun, wer die neuere agrarpolitische Literatur auch nur oberflächlich kennt, weiß, daß diese Prognose, die damals noch in den meisten Ohren als Unglaublichkeit erklang, heute von den meisten geglaubt wird. MAX SERING fragte kürzlich, in einem Vortrage im [S. 136] Landes-Ökonomie-Kollegium, als er von der inneren Kolonisation und der Landflucht sprach, ganz entsetzt: »Wie denkt man sich die weitere Entwicklung?!« Kurz, der Endzweck, die Sprengung des »Klassenmonopols der Bodensperre«, dessen Rechtsform das Großgrundeigentum ist, wird erreicht werden, weil die Entwicklung selber unwiderstehlich dazu drängt;“[269]

Wenn OPPENHEIMER dennoch kämpferisch auf einem bodenreformerischen Standpunkt beharrte, dann deswegen, weil er die politischen Katastrophen und Kriege fürchtete, die den »natürlichen« Ausstoßungsprozeß der postfeudalen Herrenklasse begleiten würden. Es wäre für ihn heute vergleichsweise grausam mit anzusehen, wie die Tropenwälder gerodet und Kinder in Brasilien auf Müllkippen hausen oder gar wie räudige Hunde erschossen werden, weltweit 10 Millionen Frauen im Kindesalter von ihren Eltern aus Armut verschachert werden, obwohl die Länder überaus reich und fruchtbar sind, also jedem Nahrung und Arbeit böten, die Masse aber ausgeschlossen ist von dem Boden, auf dem sie steht.

Könnte man die Luft in Tüten packen, dann würde sie mit gleicher Leichtigkeit besitzbar sein, und es wäre von gleicher »Gerechtigkeit«, wenn ein Eroberer fortan eine »Atemsteuer« verlangen würde. So kann der Mensch nicht essen, ohne der Erde Frucht abzugewinnen, kann nicht arbeiten, ohne ein Fleckchen, auf dem sich rechtmäßig stehen läßt, kann seiner Familie keine Hütte bauen, wenn nur die Vögel sich frei auf den Bäumen niederlassen dürfen, es ihm durch den Nebenmenschen hingegen versagt ist, selbst wenn dessen Besitz größer ist als das Auge fassen kann.

Je länger OPPENHEIMER die Soziologie als Wissenschaft betrieb, desto klarer sah er, daß die Menschheit ihr Schicksal nicht mit dem Verstand bestimmen oder ihre Mittel abwägen würde. Vielleicht wird ein Geschichtsbuch des Jahres 3000 für unser Jahrhundert notieren: »Wirtschaftskrisen und Wechsel von der Agrar-zur Industriegesellschaft, begleitet von zwei Weltkriegen und Verdrängung des Landadels aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft«. Gewesenes Leid nimmt sich leichter als das unmittelbar erfahrene oder vorhergesehene. Nur wenn die Köpfe bereits gespalten sind, läßt sich rückblickend sagen: »Was regst Du Dich auf? Es hat sich doch alles von selber geregelt«. Die Selbstregelung der Natur ist grausam; sie besteht aus Fressen und Kampf. Kultur dagegen wäre, den unvermeidlich anstehenden Entwicklungen mit sanfter Geburtshilfe und minimierten Opfern zuvorzukommen.

Aus OPPENHEIMERs Sicht war das europäische Massenschlachten vermeidbar, und das sollte ihn nicht aufregen? Insofern findet sich bei ihm schon ein kleiner Widerspruch, wenn er in der reinen Theorie die Entwicklungsgesetze beschreibt, nach denen die Völker ihre Bahnen ziehen und dann in der Sozialpolitik nicht einsehen möchte, weswegen die Überwindung unhaltbarer Zustände stets nur auf der Ebene niederer Instinkte und konfligierender Interessen erfolgen sollte. Muß die Menschheitsgeschichte unbedingt mit Blut und Tränen geschrieben werden? [S. 137]

Wenn eine rückblickende Forschung nach sorgfältiger Prüfung ergeben würde, daß nach OPPENHEIMERs Plan viel Leid unseres Jahrhunderts vermeidbar gewesen wäre, dann müßte eigentlich alle Freude darüber, daß die Welt sich auch ohne den Plan gewandelt hat, in Scham angesichts der Opfer ersticken. Indes, selbst wenn man die Gretchenfrage eines »Was-wäre-gewesen-Wenn« scheut, ist OPPENHEI-MERs Gedankengang vom Standpunkt einer Entwicklungssoziologie aus betrachtet der Prüfung wert. Unter der Kapitelüberschrift »Was bleibt?« schreibt GYSIN:

„Mir scheint, daß zunächst jedenfalls die wichtige, von OPPENHEIMER mit Leidenschaft vertretene Erkenntnis bleibt, wonach die Klassenschichtung der Hochkulturen ohne Einwirkungen des politischen Mittels, insbesondere der kriegerischen Gewalt, für welche die »Überlagerungstheoretiker« erdrückendes Material beigebracht haben, gar nicht in den geschichtlich festzustellenden Extremformen möglich gewesen wären. Die Klassenstruktur ist daher kein unüberwindbares, mit der Arbeitsteilung feststehendes Schicksal. Sie kann und wird überwunden werden ohne die weitgehend illusionäre Aufhebung der Arbeitsteilung. Und dies sollte im Sinne OPPENHEIMERs nicht in Derivaten des orientalischen Despotismus, sondern mit freiheitlichen Mitteln geschehen.

Viel zu wenig ist in der Kritik an OPPENHEIMER sodann auch die Rolle der Sklaven in der Entstehung der Klassenstrukturen beachtet worden, insbesondere auch nicht an den Exempeln der alten Stromstaaten, in denen es neben Frondiensten an sich freier Bauern auch die Massenausbeutung fremder Arbeitssklaven gab. Daß Schuldknechtschaft, Verbrechen und ähnliche Tatbestände nicht zu stammeseigener Sklaverei als Massen-und Dauererscheinung führen, ist auch heute noch anerkannt. Große Sklavenschichten sind immer als Kriegsbeute, Importware und anderen Varianten des politischen Mittels von außen her in den eigenen Volkskörper eingeführt worden. Deshalb bedeutet schon das Wort Sklave (Slave) vielfach den Fremden, den Erbeuteten. Daß das römische Reich ein Eroberungsstaat größten Stils war (und wesentliche Spuren davon in christlichen Kirchen hinterlassen hat), wird niemand bestreiten. Er ging seit DIOKLETIAN zu Elementen orientalischer Despotie über. Die Sklaven seiner Latifundien, die bis in die Tausende an Zahl gingen, waren laufend importiert. Und da sich die Indianer der neuen Welt nicht so leicht unterwerfen ließen, importierte man über 3 Jahrhunderte für die im privaten Großeigentum stehenden Plantagen der Südstaaten sowie Lateinamerikas Neger, die durch Araber oder Neger anderer Stämme gejagt waren und auf »christlichen« Schiffen eng gedrängt über den Ozean transportiert wurden. An den Folgen dieser »Unterschichtung« leidet noch heute die Welt.

Auch OPPENHEIMERs Ansicht, daß die prähistorische »Urstruktur« der menschlichen Gruppen eine eher gleichheitliche, jedenfalls keine in Klassen gegliederte sei, darf im Prinzip als erwiesen gelten. Der Mensch muß zunächst (bevor sich im Spätpaläolithikum höhere Jäger bildeten) als primitiver Sammler und Jäger gelebt haben, in Kleingruppen, in denen es zu wirtschaftlicher Dauerungleichheit wenig Anlaß gab. Und die spezifisch menschlichen Anforderungen der Aufzucht (der Mensch kommt im Gegensatz zum Tier als ein auf die Mithilfe seiner Gruppe langfristig angewiesenes Mangelwesen zur Welt) müssen auch sozial spezifisch humane Auswirkungen gehabt haben. (...) Gleichheit und Reziprozität ist bei vielen Naturvölkern eine eingefleischte Vorstellung. Sie wird erhärtet durch die Befunde anglo-amerikanischer Forscher über akephale (häuptlingslose) Gesellschaften selbst auf Viehzüchterstufe.

Bleibt schließlich noch darauf hinzuweisen, welch überragende Bedeutung die Weiterexistenz massenhaften Großgrundeigentums noch heute hat. Das gilt für Süditalien [S. 138] und Spanien und für die Fernwirkung auf benachbarte Industriestaaten in Form des Fremdarbeiterproblems. Vor allem aber gilt es für den nahen, mittleren und fernen Os-ten, für Afrika und Südamerika. Dort ringen u. a. fortschrittliche Priester um die Überwindung der schicksalgläubigen überkommenen Apathie der Landarbeiter selbst. Dort findet, seitdem räumliche Entfernung keine Rolle mehr spielt, die Massenabwanderung von den Regionen des Großgrundbesitzes in die Elendsgürtel der Städte statt. (...) Auch in Südamerika steht allerdings der Eroberungsursprung des Großgrundeigentums außer Frage. Und hier stellen sich die Probleme der Landreform in Menge. Und nicht nur dabei, sondern auch in der Mitbestimmung in Industriebetrieben dürften sich die genossenschaftlichen Vorstellungen OPPENHEIMERs als zukunftsträchtig erweisen ...“[270]

Fußnoten
[233]
Seine ältere Schwester PAULA wurde die Frau von RICHARD DEHMEL, einem damals bekannten Dichter und Jugendfreund FRANZ OPPENHEIMERs. Die jüngere Schwester ELISE heiratete den Leipziger Ägyptologen Prof. Dr. GEORG STEINDORFF. Sein Bruder Prof. Dr. med. CARL OPPENHEIMER wurde ein bekannter Schüler des späteren Nobelpreisträgers PAUL EHRLICH und verfaßte ein unter Medizinern seiner Zeit bekanntes Standardwerk der Biochemie.
[234]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 43 f.
[235]
FRANZ OPPENHEIMER. In: Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart in Selbstdarstellung. Herausgegeben von FELIX MEINER. Leipzig 1929, S. 68 -116, hier S. 72 f.
[236]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 87.
[237]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 102 f.
[238]
FRANZ OPPENHEIMER war ein scharfer Gegner des sogenannten Organizismus, dessen Vertreter seiner Meinung nach „wie die Blinden von der Farbe“ redeten. Dessen ungeachtet vertrat er eine, dem mechanistischen Weltbild entgegengerichtete Position des lebendigen Gesellschaftsorganismus, in dem alles wechselseitig aufeinander wirkt und Gleichgewichte benennbar sind, die als »Gesundheit« oder »Wohlbefinden« des Ganzen aufzufassen seien. Siehe auch Fußnote 17 auf Seite 29 dieser Arbeit und FRANZ OPPENHEIMER, System I, Soziologie, S. 60 ff, 200 und 456 f.
[239]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 69 f.
[240]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 142.
[241]
Vgl. FRANZ OPPENHEIMER. In: Die Volkswirtschaftslehre der Gegenwart ..., a.a.O, S. 89 f.
[242]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 209.
[243]
Vgl. DIRK KÄSLER: Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungs-Milieus. Opladen 1984, S. 26.
[244]
Dafür, daß OPPENHEIMER an ERHARD positiv gedacht haben dürfte, steht auch ein ganz persönlicher Umstand. OPPENHEIMER durchlebte seine letzten Jahre in Deutschland überaus zurückgezogen. EARL EDWARD EUBANK gegenüber äußerte er bei dessen Besuch im Jahre 1934: „Es ist seit drei Jahren die erste Gelegenheit, daß ich mich mit jemanden unterhalten kann, der sich für meine Arbeit interessiert.“ OPPENHEIMERs Bezüge als Emeritus waren gerade ein Jahr zuvor auf etwa ein Drittel gekürzt worden, ausschließlich seiner jüdischen Abstammung wegen. Seine Tochter RENATE hatte es aufgegeben, die öffentliche Schule zu besuchen und erhielt vom Vater Privatunterricht. Sie äußerte: „Meine ehemaligen Schulfreunde sind alle derart höflich zu mir geworden, daß ich es nicht mehr länger aushalte.“ (siehe DIRK KÄSLER, Die frühe deutsche Soziologie, a.a.O., S. 62). Außerdem bestand ab 1934 ein Veröffentlichungsverbot für nichtarische Schriften, so daß OPPEN-HEIMERs Werk in Deutschland praktisch nicht mehr existierte. In dieser Situation der äußeren Bedrängung und Demütigung gehörte LUDWIG ERHARD zu den wenigen, die ihrem verehrten Lehrer weiter die Treue hielten. Sowohl weigerte sich ERHARD irgendeiner Organisation der NSDAP beizutreten und büßte dadurch seine Stellung als Institutsleiter in Nürnberg ein. Er gehörte aber auch zu den wenigen, die sich von OPPENHEIMER vor dessen Emigration persönlich verabschiedeten. „Ich denke noch mit Wehmut und Trauer an den Abschied. Er hatte Tränen in den Augen, als er sagte: »Nun muß ich mein Vaterland verlassen.«“ (LUDWIG ERHARD: Rede zu Oppenheimers 100. Geburtstag in der FU Berlin. In: derselbe, Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Düsseldorf 1988, S. 858 -864, hier S. 864).
[245]
LUDWIG ERHARD: Rede zu Oppenheimers 100. Geburtstag ..., a.a.O., S. 858 -860.
[246]
LUDWIG ERHARD: Gestern - Heute - Morgen. Schallplattenaufnahme vom 9. Juni 1961 im Gespräch mit HANS OTTO WESEMANN. Abgedruckt in LUDWIG ERHARD: Gedanken aus fünf Jahrzehnten. Düsseldorf 1988, S. 684 -716, hier S. 689.
[247]
LUDWIG ERHARD: Gestern -Heute -Morgen, a.a.O., S. 694.
[248]
ERICH PREISER: Franz Oppenheimer. Gedenkrede zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. In: derselbe, Politische Ökonomie im 20. Jahrhundert. München 1970, S. 179 193, hier 180 f.
[249]
ERICH PREISER: Antrittsrede vor der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. In: derselbe, Politische Ökonomie ..., a.a.O., S. 219 -223, hier 220 f.
[250]
FRANZ OPPENHEIMER, Vorwort zu JOACHIM TIBURTIUS: Gemeinwirtschaftliche Gegensätze. Leipzig 1919, S. 5 f.
[251]
Fußnote im Zitat: „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, S. V.“
[252]
Fußnote im Zitat: „NASSAU W. SENIOR: Industrial Efficiency and Social Economy, London 1928, S. 27.“
[253]
Fußnote im Zitat: „Principles, 8.Aufl., S. 4.“
[254]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, (1938), S. VI-VII.
[255]
Vgl. VOLKER KRUSE: Von der historischen Nationalökonomie zur historischen Soziologie. Ein Paradigmenwechsel in den deutschen Sozialwissenschaften um 1900. In: Zeitschrift für Soziologie, 19. Jg., Heft 3/1990, S. 149 -165.
[256]
„Deshalb muß zur Zeit einer Revolution, da sich die normal-wissenschaftliche Tradition verändert, die Wahrnehmung des Wissenschaftlers von seiner Umgebung neu gebildet werden -in manchen vertrauten Situationen muß er eine neue Gestalt sehen lernen. Wenn er das getan hat, wird die Welt seiner Forschung hier und da mit der vorher von ihm bewohnten nicht vergleichbar erscheinen. Das ist ein weiterer Grund, warum von verschiedenen Paradigmata geleitete Schulen immer etwas aneinander vorbeireden.“ THOMAS S. KUHN: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, a.a.O., S. 124.
[257]
„Ich habe es längst aufgegeben, von Reden und Veröffentlichungen die Bekehrung eines Gegners zu erhoffen; oder zu glauben, daß man Legenden durch noch so schlüssige Beweise ein Ende bereiten könne, namentlich, wenn es im Interesse bestimmter sozialer Gruppen liegt, daß sie weiter verbreitet werden. Ich erhoffe den Sieg meiner Gedanken von der Generation, die nach der unseren kommt, und vor allem von der lebendigen Tat.“ FRANZ OPPENHEIMER: Siedlungsgenossenschaft, 3. Aufl., 1922, S. XXI.
[258]
FRANZ OPPENHEIMER: Das Kapital, S. IX.
[259]
GOMEZJARA ist einer der bekanntesten Soziologen Lateinamerikas. Er schreibt (in eigenerÜbersetzung): „Die Sozialforschung Mexikos überwintert an den Masttrögen unkritischer Forschung, indem sie auf den Problemchen des Alltags und Trivialitäten herumreitet. Sie ist eine schickliche Sozialwissenschaft, zurückhaltend und voller Umsicht. Sie hat sich etabliert, aber zugleich jeden Sinn für Humor verloren: ihr Theoriegebäude ist so schwächlich, daß es an einer Lachsalve zerbrechen würde. Während sie einen mit ihren ständigen Wiederholungen belästigt, bleibt ihr nichts anderes übrig als sich einer unpersönlichen Sprache zu bedienen, unkritisch und politisch hohl, weil sie sich im Grunde mit der bestehenden Ordnung identifiziert hat. (...) Trotzdem, das gütige System hat diese Sozialwissenschaftler zu angesehenen öffentlichen Funktionären erhoben, zu Wirtschaftsberatern und gewichtigen Hochschulgelehrten, die stets darauf bedacht sind, das zu rechtfertigen, zu verändern oder zu verurteilen, was der Staat ihnen als ihre Aufgabe zuweist.“ FRANCISCO GOMEZJARA in derselbe u. a.: Sociologia de la prostitucion. México 1982, S. 7 f.
[260]
Vgl. HANS ACHINGER in BERTRAM SCHEFOLD (Hg.): Wirtschafts-und Sozialwissenschaftler in Frankfurt a. M., Marburg 1989, S. 21 ff.
[261]
WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT, Festschrift für FRANZ OPPENHEIMER zu seinem 60. Geburtstag. Mit Beiträgen zur Ökonomik und Soziologie der Gegenwart von ROBERT WILBRANDT, LEONARD NELSON, CARL BRINKMANN, ROBERT MICHELS, BRUNO SCHULTZ, FRIEDA WUNDERLICH, ADOLF LÖWE, FRITZ STERNBERG, ERICH PREISER, A. SPANJER, JOSEF MACEK, FRITZ EDINGER, SIEGFRIED BUDGE, WILHELM VERSHOFEN, CHARLES GIDE, MIROSLAW HLAVKA, ERIK NÖLTING, KURT BLOCH, FEDOR SCHNEIDER, GUSTAV MAYER, GOTTFRIED SALOMON. Frankfurt a. M. 1924.
[262]
Vgl. The American Journal of Economics and Sociology, No. 3, 1944, S. 292.
[263]
Vgl. SUSANNE MILLER: Kritische Philosophie als Herausforderung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In: Dialektik Nr. 7, 1983, S. 53 -67. (MILLER bezieht sich auf LEONARD NELSON, der bekanntlich im engen Bund mit OPPENHEIMER stand.)
[264]
FRANZ OPPENHEIMER: Lebenserinnerungen, S. 204 f.
[265]
EDUARD HEIMANN berichtet: „... als während seiner Studienzeit die Welle des STÖCKERschen Antisemitismus über die Universitäten ging, da stand FRANZ OPPENHEIMER vor den Hörsälen und bot seine Visitenkarte zur Annahme aus, an alle Diejenigen, die es wagen wollten, sich mit ihm, dem Juden, zu messen; er war ein gefürchteter Fechter, und diente stets der gerechten Sache.“ In: FRANZ OPPENHEIMER, Lebenserinnerungen, 2. erweiterte Aufl. von 1964, S. 332 -333, hier 333.
[266]
ALEX BEIN: Franz Oppenheimer als Mensch und Zionist. In: Bulletin des Leo Beack Instituts. 7. Jg., 1964, S. 1 -20, hier S. 3.
[267]
FRANZ OPPENHEIMER: System I, Soziologie, S. XIV. Im Original ohne Hervorhebungen.
[268]
THOMAS S. KUHN: Die Struktur wissenschaftlicher Revolution, a.a.O., S. 98 und 124 f.
[269]
FRANZ OPPENHEIMER: Siedlungsgenossenschaft, 2. Aufl., S. III-IV (Vorwort).
[270]
ARNOLD GYSIN: Franz Oppenheimer ..., a.a.O., S. 46 ff. Abschrift ohne Fußnoten.