4.2. Das Genossenschaftswesen im Post-Totalitarismus

Die Idee der Genossenschaft beruht auf der Idee persönlicher Freiheit im Rahmen einer Schutz-oder Kooperationsgemeinschaft gegen äußeren Druck. Deichbaugenossenschaften wehren sich mit vereinten Kräften gegen die Naturgewalt der Sturmfluten, andere Genossenschaften bilden sich als Abwehrmaßnahme gegen herrschaftliche Übermachtverhältnisse. Aber auch die Organisation einer auf Zuneigung und Gerechtigkeit bauenden Lebensgemeinschaft hätte ohne jeglichen Existenzdruck von außen als »Liebesgemeinschaft« ihre Form, die gewiß nicht dem Modell der Herrschaft gleichen würde, sondern dem der Genossenschaft.

Von daher muß der Begriff »Genossenschaft« über die Achtung definiert werden, die sich die Genossen wechselseitig entgegenbringen und ebenso über die Freiheit, deren Schutz ihnen ganz allgemein ein Anliegen ist, weil darüber die Entwicklungschancen eines jeden Mitgliedes der Gruppe und die Qualität der Genossenschaft als solche bestimmt werden.

Nun gibt es aber in diesem Zusammenhang auch Gefahren. OPPENHEIMER verwies auf die Möglichkeit von Raub-und Herrschaftsgenossenschaften, die nach innen wohl genossenschaftliche Prinzipien pflegen, aber sich in keiner anderen Absicht zusammenrotten, als den Außenstehenden zu übervorteilen. Man denke hier etwa an die Kartelle, die in der Absicht errichtet werden, die Freiheit des Marktes und damit den Wettbewerbsdruck aufzuheben, damit gegenüber dem Kunden hö-here Preise oder schlechtere Qualitäten durchgesetzt werden können, [S. 340] als bei voll wirkendem Wettbewerbsdruck möglich wäre. Von außen betrachtet erscheinen Kartelle und Genossenschaften zum Verwechseln ähnlich, sind doch beides Zusammenschlüsse, die ihren Mitgliedern nützen und damit zwangsläufig einem anderen etwas nehmen. Und was soll man damit anfangen, wenn zusätzlich klar ist, daß Kartelle Angriffsinstrumente einer ausbeutenden Klasse und Genossenschaften Abwehrinstrumente einer ausgebeuteten Klasse sind? Selbst wenn man mit diesem Bewußtsein richtig läge, hätte man doch noch kein schlüssiges Argument, über das sich die Unzulässigkeit des Kartells begründen ließe, ohne die Zulässigkeit der Genossenschaft gleichzeitig mit anzugreifen. (Der herrschenden Klasse ist es natürlich immer recht, die Genossenschaft mit dem Kartell zu verbieten, weil sie ihre Kartellierungen im Schutze der Nichtanwendung von Gesetzen etc. sowieso weitreichend realisieren kann.)

Man kann den Vorgang der Assoziierung nicht losgelöst sehen von dem, wozu er dient. Mit organisatorischen Instrumentarien verhält es sich also ähnlich wie mit allen Instrumenten, die mal heilen und mal zerstören, nutzen oder schaden können, je nachdem, in welcher Absicht sie verwendet werden. Und da das Resultat der Assoziation »Macht« ist[657], kann sie sowohl der Überwältigung anderer dienen als auch dem Selbstschutz oder dem Schutz von Freiheit und Gerechtigkeit in einem geordneten, ethisch hochstehenden Rahmen.

Das Problem einer weiteren Diskussion liegt nun darin, daß sie ohne die ethische Dimension nicht geführt werden kann[658]. OPPENHEIMER setzt an diese Stelle wohl die universale Gültigkeit des kategorischen Imperativs KANTs ein. Gleichzeitig aber wird der Legitimismus unter Berufung auf dieses Prinzip unterschiedliche Ideologien und Rechtsstandpunkte hervorbringen, die jeweils das Interesse des Sprechers verteidigen. So wird man beispielsweise niemals »beweisen« können, daß es »Unrecht« sei, wenn eine Minderheit eine Mehrheit beherrscht. Man mag persönlich entsprechenden Ansichten zuneigen, aber dem stehen dann eben die Ansichten der anders interessierten Seite entgegen[659]. Der Aufwand des [S. 341] notwendigen Exkurses bis hinunter zu den bei beiden Parteien gleichermaßen gültigen ethischen Grundsätzen, wäre so immens, daß er im Alltag nicht geleistet werden könnte und m. E. von daher für den Alltag auch kein Gewicht erhält. Dort wird jeder weiter glauben, was dem eigenen Interesse entspricht und widersprechende Argumentationsansätze einem »feindlichen Lager« zuordnen, das es zu bekämpfen gilt, weil es dem Interesse widerspricht. Also hat es die Ethik zwischen Kartell und Genossenschaft, Raub-und Schutzgenossenschaft schwer zum Zuge zu kommen, wenngleich es mit dem kategorischen Imperativ durchaus einen Standpunkt gibt, von dem aus auch dieses Problem für einen »neutralen Beobachter« entscheidbar wäre.

Verbleiben wir deswegen im Soziologischen und wenden lediglich an, was die Klärung des Begriffs der Herrschaft erbracht hat. Dann scheiden sich Angriffs- von Abwehrgenossenschaften dadurch, daß die Abwehrgenossenschaft prinzipiell offen ist, jedem die Vorteile zu gewähren, die sich einstellen, wenn man ihrem Bündnis beitritt. Abwehrgenossenschaften werden idealtypisch gesehen nicht nur mit jedem zutretenden Mitglied stärker; ihnen fehlt die Definition eines Ausbeutungsobjektes, das daran gehindert wird, sich derselben Satzung zu unterstellen und zu gleichen Teilen (bzw. als Rechtsgleiche) die Vorteile der Assoziation zu genießen. Angriffsgenossenschaften hingegen profitieren davon, daß sie als kleine Gruppen große Gruppen beherrschen. Der von ihnen ausgeübte Zwang »rechnet« sich nur über eine »elitäre« Position oder den Ausschluß der Allgemeinheit. Die so Motivierten wollen nicht mit der Allgemeinheit, sondern von ihr einen Nutzen ziehen, weswegen die Allgemeinheit ausgeschlossen oder abgedrängt werden muß von den Mechanismen, über die sich der Nutzen verteilt.

Die Offenheit der Genossenschaft für Außenstehende war deswegen in der Genossenschaftsbewegung ein wichtiges Prinzip. In gewisser Weise diente es »sozialistischen« Zielsetzungen, wie darüber die Freiheit und Gleichheit aller Wirtschaftspersonen auf dem Markt sichergestellt werden sollte bzw. man den Nachteilen entgegentrat, die man als unterdrückte Klasse ohne diese Organisation bis dahin hinzunehmen hatte. Es hätte in diese soziale Bewegung nicht hineingepaßt, wären einzelne in ihr aufgestanden, um die Emanzipation anderer zu verhindern. Das gilt bezeichnenderweise auch für die Emanzipationsbewegung der Frauen, die in den alten Genossenschaften weit selbstverständlicher zu ihrem Recht kam als in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen.

Diese weitere Unterscheidung der genossenschaftlichen Befreiungsbewegung von dem einfachen Wirtschaftskartell war als Vorbemerkung notwendig, weil genau [S. 342] diese Befreiungsbewegung nach der Regel des »Kampfes der Herrschaft gegen die Freiheit« angegriffen wurde durch den Faschismus, der nicht minder behauptete, »Gemeinschaft« zu sein. Der Faschismus arbeitete in Italien, Deutschland und Spanien mit Ansprüchen und Symbolen, die eine klassenüberwindende »Volksgemeinschaft« behaupteten. Was sich hinter diesem Schein verbergen konnte, das sahen die meisten erst viel zu spät und wollten es vermutlich auch dann noch nicht glauben.

4.2.1. Das Herrschaftsprogramm »Faschismus«

Der Staat und sein bürokratischer Mechanismus der Herrschaftsausübung ist ein Kunstprodukt, das ursprünglich erfunden wurde, um ein unterworfenes Volk dauerhaft zu bewirtschaften. Dieses Kunstprodukt unterscheidet sich an einem wichtigen Punkt von den Gemeinschaften, ohne daß die Menschen, für die der Staat an die Stelle der Gemeinschaft tritt, nachdem die Gemeinschaften untergingen, den Unterschied immer klar sehen.

Der Mechanismus »Staat« soll dem Herrscher bzw. Souverän dienen, weswegen der bürokratische Mechanismus meinungslos reproduzierbar exakt funktionieren soll. »Ethik«, »Sinn« und »Zweck« werden an der Spitze herrschaftlicher Hierarchie definiert und sind von daher nicht nur rechtsetztend für den bürokratischen Apparat, sondern auch unabhängig von den Unterworfenen selbst. (Die repräsentative Demokratie hat hier erstmals eine Rückkoppelung an den Willen des Volkes angelegt, wobei Demokratietheoretiker Schwäche und inhaltliche Unbestimmtheit kritisieren.)

Daß es bei dieser Anlage des Staates immer wieder zu Tyranneien gekommen ist, die im Volke zur Herausbildung einer Gegenbewegung führte, das ist aus der Geschichte bekannt. Interessant ist jedoch, warum die Völker überhaupt ein großes Maß an Unterdrückung hinnehmen, bevor der Punkt zur Gegenwehr erreicht wird. Und das wiederum liegt an der Täuschung, mit der sich Herrschaftssysteme als Gemeinschaftsorganisationen ausgeben können. Indem sie nämlich gerade die freie Wahl und freie Assoziation unterdrücken, lassen sie in den Grenzen ihres Herrschaftsgebietes keine andere Organisationsform als die der Herrschaft zu. Und da der Mensch in komplexeren Zusammenhängen der Organisation bedarf, wie die Wirtschaft des Geldes zur Abwicklung ihrer Tauschakte, fügt sich der einzelne in das Vorgegebene und sucht nach den Möglichkeiten individueller Ausgestaltung.

Der Unterschied von »Staat« und »Gemeinschaft« liegt in folgendem: In Gemeinschaften begegnen sich alle Personen regelmäßig persönlich, sind auf lange Zeit hinweg miteinander verbunden, machen ihr eigenes Verhalten von dem Verhalten des anderen abhängig, können somit das Verhalten des anderen positiv oder negativ sanktionieren und darüber in gewissen Grenzen beeinflussen, sind wechselseitig interessiert an bestimmtem Verhalten oder Leistungen, leben insofern in wechselseitigen Abhängigkeiten und aktualisieren ihre Sozialbeziehungen entsprechend der Erfordernisse und Bedürfnisse, die in diesen Geflechten aufkommen. Es [S. 343] wäre einem einzelnen völlig unmöglich, gänzlich ohne Rücksicht auf die ihn umgebenden Personen zu agieren. Ob nun in Unternehmen, Vereinen, Familien oder sonstigen Zusammenschlüssen, bei denen die direkte Interaktion das Geschehen bestimmt, immer gibt es bei aller Hierarchie auch eine verpflichtende Bindung zwischen den Stufen. Die Beziehungen sind auf dieser Grundlage »berechenbar« bzw. haben eine eigene »Rechtsgrundlage«, die asymmetrisch und von einem bestimmten Standpunkt aus betrachtet »ungerecht« sein kann, aber dennoch nicht willkürlich ist.

Diese relative Gebundenheit und »Gerechtigkeit« kennzeichnet unsere Lebensgewohnheit, und in diesen kooperativen Geflechten entwickeln wir unsere Kooperationsregeln und Moral. Man mag gegenüber der Qualität dieser Normalitätsvorstellungen Vorbehalte haben und an ihrer Weiterentwicklung arbeiten, doch in dem Rahmen, in dem wir überhaupt an Verbindungen untereinander interessiert sind und in entsprechenden Zusammenhängen leben, passiert eines in der Regel nicht, nämlich daß wir einander ohne Regung des Gewissens Güter, Freiheit und Leben nehmen. Es mag Übergriffe in gewissen Grenzen geben, aber sie gehen immer mit einem Wissen oder zumindest einer Ahnung verletzten Rechts einher und sind deswegen grundsätzlich korrigierbar.

In der Situation der Herrschaft ist der Herrschende von dieser Rückbindung entkoppelt. Ein System einseitiger Sanktionsmöglichkeit fordert von oben nach unten Gehorsam und Tribute. Der Unterworfene soll ohne Abwehrmöglichkeit sein, das ist der Zweck des herrschaftsdienlichen Systems. Hier bestimmen die Handlungen nicht die persönlichen Bindungen, sondern Regeln. Von daher sind Systeme »Aktionshüllen«, denen keine Moral innewohnt, sondern die allenfalls nach einer Moral ausgerichtet werden. Genausogut kann das Instrument aber auch für die Ausrichtung einer Diktatur benutzt werden.

Das einzige wirkliche Problem der Diktatoren bei der Benutzung des Staatsinstrumentes ist ihre Minderheitenposition. Würde ein unterdrücktes Volk seine Lage zum Anlaß einer Vereinigung und eines Aufstandes nehmen, dann könnte keine Herrschaft der Welt sich halten. Damit das aber nicht passiert, heißt es seit altersher »divide et impera«, teile und herrsche. „Säe Zwietracht, stifte Unfrieden unter deinen Gegnern durch unterschiedliche Behandlung, um sie einzeln leichter beherrschen zu können.“[660]

Mit der Vereinigung der unterdrückten Massen zu einer proletarischen Bewegung, die mit einem Bewußtsein ihrer Stärke öffentlich auftrat und die herrschende Klasse in Staat und Wirtschaft mit dem erklärten Ziel einer Revolution der Ausbeutung bezichtigte, zerfiel das Gebäude herrschaftlicher Ideologie, das nur solange [S. 344] stabil ist, wie die Massen an die Legitimität der Herrschaft glauben[661] oder zumindest keine Alternative sehen.

Aus heutiger Sicht ist wohl klar, daß die »proletarischen Revolutionen« der real aufgetretenen Art weniger zur Befreiung der Massen beitrugen, als die kontinuierliche Überführung des kapitalistischen Klassenstaates in einen demokratischen Rechtsstaat und eine Soziale Marktwirtschaft leisten konnte. Von daher entpuppte sich die damals massenhaft gedachte »Alternative« als irrig, vor allem weil sie ihr Heil in einer weitgehenden Beschneidung ökonomischer und staatsbürgerlicher Freiheiten suchte. Aber zum Zeitpunkt der Auseinandersetzungen zwischen 1918 und 1933 wußte man über die Zukunft nur wenig (die theoretisch begründeten Überlegungen von Einzelpersonen einmal ausgenommen).

In der damaligen Situation war auch weniger entscheidend, daß der herrschenden Auffassung ein richtig durchdachtes Modell entgegengesetzt würde. Ein besseres Modell wäre gut gewesen und hätte viel Leiden erspart. Konkret entscheidend wurde aber vielmehr, daß die herrschaftliche Ideologie ihre Akzeptanz verlor und von den Massen fortan nicht mehr geglaubt wurde. Die konkurrierende Idee der Sozialdemokratie, der Kommunisten, der Gewerkschaften und auch der Genossenschaften brach insofern die Verhältnisse um, wie eine Neufestlegung der »Gemeinschafts«-Grenze stattfand. Die Innen-Definition umfaßte all jene, die in gleicher Klassenlage »brüderlich geeint« als Rechtsgleiche zueinander standen. Und jene, die sich bis dahin als »natürliche« Herren aufgespielt hatten, sie wurden nunmehr sozial ausgegrenzt und galten als »Gegner«.

Die Folgen der proletarischen Gegenideologie waren für die herrschende Klasse fatal. Für die Unternehmer bzw. fortan »Kapitalisten« ging die Neuinterpretation der Verhältnisse mit einem nachhaltigen Prestigeverlust einher, was für Menschen, die ganz allgemein nach sozialer Hochgeltung streben, immer unangenehm ist. Sie verloren aber auch an »natürlicher Autorität« bzw. Anerkennung ihrer Sachkompetenz bei Weisungen und wurden durch die sich verweigernde Arbeiterschaft immer stärker zur Anwendung offener Machtmittel genötigt, um überhaupt noch Anweisungen durchsetzen zu können. Und letztlich durften sie sich ihres Lebens und Besitzes nicht mehr sicher sein, weil entsprechende »Säuberungsaktionen« nach einer »Kultur«-Revolution denkbar wurden. Das Gesetz der Genossenschaft, die eine andere Genossenschaft beherrscht, drohte sich gegen sie zu wenden.

Lesen wir in diesem Zusammenhang einige Aussagen der NS-Ideologen:

„Der marxistische Sozialismus hat die Klassen gegeneinander gehetzt und damit das organische Gefüge des Volkes aufgeweicht. Der nationalistische Sozialismus dagegen schließt die Klassen zusammen und schmiedet damit das Volk zu einer unlösbaren Blutseinheit aneinander.“[662]

[S. 345] „Wenn man begriffen hat, daß die Schicksalsfrage darin besteht, daß der Marxismus gebrochen wird, dann muß jedes Mittel recht sein, das zum Erfolg führen kann. Da ist das erste: eine Bewegung, die das durchführen will, muß sich an die breite Masse wenden, an die Masse, mit der der Marxismus selbst kämpft. Eine solche Bewegung kann sich nur an die Mannesfaust wenden, die weiß, man kann Gift nur durch Gegengift brechen. (...)
So muß eine Bewegung, die Gutes erreichen will, die zum Kampf ausholen will, sich selbst der Masse bedienen, die Träger sein kann, und das ist nur die breite Masse. Diese breite sture Masse, die vernarrt, verbohrt für den Marxismus kämpft, ist die einzige Waffe für die Bewegung, die den Marxismus brechen will. Mit nichts anderem würden wir dieser Weltpest Herr werden. Sie allein ist in der Lage, das politische Glaubensbekenntnis in sich aufzunehmen und zu verarbeiten, daß aus rein dogmatischer Handhabung ein fanatischer Glaube wird, wie er heute auf der anderen Seite da ist.“[663]

„Das Symbol des Klassenkonzeptes, des ewigen Streites und Haders, es wird sich nunmehr verwandeln zum Symbol der Erhebung, zum Symbol der großen Einigung unseres Volkes. (...) Wir haben eines als erste Aufgabe zur Wiedergenesung unseres Volkes erkannt: Das deutsche Volk muß sich wieder gegenseitig kennenlernen. Die Millionen Menschen, die in Berufen zerrissen, in Klassen auseinandergehalten worden sind, die von Standesdünkel und Klassenwahnsinn befallen einander nicht mehr verstehen lernten, die müssen den Weg wieder zueinander finden. (...)

Deutsches Volk! Du bist stark, wenn du eins wirst, du bist gewaltig, wenn du den Geist deines Klassenkampfes und deiner Zwietracht aus dem Herzen reißt, du kannst hinter deine Arbeit eine unerhörte Kraft stellen, wenn du die Arbeit verbindest mit dem Gefühl deines gesamten Volkstums.“[664]

Das Herrschaftsprogramm des Faschismus spielte sich in Deutschland ab zwischen den Fronten einer Klassengesellschaft, in der eine starke sozialistische Bewegung von unten angriff, was einer herrschenden Klasse oben »heilig« war, nämlich ihre Machtbasis in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei dürften die Faschisten kein anderes Interesse gehabt haben, als in dieser Situation der Auseinandersetzung selber als »lachende Dritte« die Macht zu ergreifen. Durch die Besetzung der Machtzentren in Staat und Wirtschaft wurde letztlich nichts anderes als »Beute gemacht«, die den Mitgliedern der »Bewegung« in der Form von Posten und übereigneten Werten »zugute« kam. Dabei spielten die Faschisten mit ihrer rassistischen Agitation keine andere Melodie auf, als der weltweit bekannte Chauvinismus und Eliterismus der herrschenden Klassen vormachte, wenn es darum ging, den Beuteobjekten die Rechtsstellung abzuerkennen. Den Herrschenden jener Zeit dürften aber die chauvinistischen Töne der Faschisten vertrauter gewesen sein als die »Gleichmacherei« des Marxismus oder auch die Rechtsidee der Weimarer Demokratie. Wahrscheinlich dachten die meisten, solange es ein herrschaftlich geordnetes Oben und Unten der Gesellschaft gäbe, würden sie ihre angestammte Stellung auch halten können. [S. 346]

Die Machtergreifung HITLERs stand m. E. auf vier Säulen. Erstens konnte er den alten Machteliten glaubhaft machen, daß er ihren Angreifer, den Marxismus, stoppen könne. Wahrscheinlich hat man in diesen Kreisen tatsächlich die Idee des Sozialismus als schuldigen Gegner angesehen und konnte gar nicht begreifen, daß der Angriff aus der objektiv gegensätzlichen Klassenstruktur erwuchs. Da HITLER den alten Eliten »aus dem Herzen sprach«, ließ man ihn bei seiner Besetzung der Staatsmachtinstrumente gewähren. Zweitens konnte HITLER seinen Leuten handfeste Vorteile in Aussicht stellen. Die Einzelhändler erhielten per Zerschlagung der Konsumgenossenschaften ihre alte Kundschaft zurück. Die Fabriken und Besitztümer der Juden gingen über an die Parteifreunde. Die aus der Staatsverwaltung herausgesäuberten Sozialisten machten »Stellen frei« für die eigenen Leute etc. Drittens gelang tatsächlich, was oben in dem Zitat von 1926 angekündigt wurde. Die »marschierenden Truppen« der Linken konnten nach gleichem Schema der Parteidisziplin und verbaler Radikalisierung zu großen Teilen umgepolt werden zu marschierenden Truppen der Rechten. Und viertens gelang die Re-Uniformierung des Volksglaubens, der als herrschaftliches Ideologiegebäude der alten Eliten zerfallen war. Damit war die Basis des folgenden Totalitarismus im Geiste gelegt, der ganz im Sinne alter Begierlichkeiten wieder die »natürliche Ordnung« aus Befehl und Gehorsam herstellte.

4.2.2. Die Krise der Genossenschaftswissenschaft

Steckt die Genossenschaftswissenschaft in einer Krise? Bereits 1978, im Rahmen der IX. Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung in Fribourg hat BOETTCHER zu dieser Frage provokant Stellung bezogen und von der Genossenschaftswissenschaft als einer Wissenschaft im Stillstand gesprochen. Er charakterisierte ihren Ist-Zustand mit viel zuwenig aktueller Forschung und viel zuviel an bevorzugter Wiederholung von Allgemeinüberlegungen, für die bloß anerkannte Autoritäten zitiert würden[665]. Die Ursache dafür ortet er in einem Auseinanderdriften der Interessen der Genossenschaftswissenschaft und jener der Praxis. BLÜMLE kritisierte 1990 eine viel zu geringe Lernfähigkeit im praktizierten Verhältnis zwischen Genossenschaftswissenschaft und -praxis[666], und HAHN sprach 1991 sogar von einer teilweisen Aufgabe der kritischen Haltung der Genossenschaftswissenschaft gegenüber der -praxis[667].“[668]

[S. 347] Die »Krise der Genossenschaftstheorie« ist kein neues Phänomen, sondern eine »Krise mit Tradition«[669]. Sie ist ferner m. E. keine Krise der Genossenschaftspraxis, die dem Rat ihrer geistigen Führer vielfach Folge geleistet hat und der Wissenschaft nun nach dem geistigen Ebenbild ihrer Väter gegenübersteht, sondern sie ist Krise der Wissenschaft, die erst einmal ihre eigene Befangenheit thematisieren sollte, bevor sie mit normativen Vorstellungen an ihre »Schützlinge« herantritt. Ja, die Praxis verweigert sich der Wissenschaft - um in diesem Bild zu bleiben - geradezu mit Überlebensnotwendigkeit und Recht, denn es ist ihr (Über-)Leben, in das hier mit undurchschaubaren Motiven eingegriffen wird.

Die Genossenschaftswissenschaft ist nicht schon alleine deswegen »kompetent«, weil der Wissenschaftler mehr Zeit auf die theoretische Reflektion verwenden kann und zu kunstvolleren Sprachspielen fähig ist. Will er sich nicht autoritär als Institution über das Leben setzen, muß er die Qualität seiner Gedanken gegenüber dem Lernwilligen unter Beweis stellen. Letztendlich wird in der Praxis nur dann etwas verbessert werden können, wenn der ratsuchende Praktiker Antworten findet, die den vorliegenden Fragen gerecht werden und den Erfahrungen standhalten. Doch welche Fragen sieht die Wissenschaft, denen sie sich stellt? Was erklärt sie den Genossenschaftlern über den Menschen, seine Lebensperspektiven, Möglichkeiten und Grenzen?

Die Genossenschaftswissenschaft der Nachkriegszeit ist eine Beforschungswissenschaft der Genossenschaft. Ihr ist die Genossenschaft mehr Objekt denn Auftraggeber, und an ihrem Objekt seziert sie herum wie an einem fremden Tier, statt Teil seines Sinnesorgans zu werden. Natürlich kann der »Denker« sein Beobachtungsobjekt frei wählen und kann im Falle des »Genossenschaftstheoretikers« die Verhaltensreaktion seines Lieblingsgegenstandes studieren. Doch würde sich der Genossenschaftstheoretiker als dienender Bestandteil eines Genossenschaftswesens begreifen, dann wäre ihm die Reaktionsform »seines« Wesens nicht Hauptgegenstand, sondern es stünde zunächst einmal das Verständnis dessen im Vordergrund, worauf die Reaktion erfolgt. Der im Dienste der Genossenschaft wirkende Wissenschaftler müßte eigentlich erst einmal die Umwelt und Existenzbedingungen der Genossenschaft verstehen, bevor eine Äußerung über die Angemessenheit innergenossenschaftlichen Verhaltens möglich ist.

Genau darin liegt aber der Bruch. Berühmt gewordene Genossenschaftstheoretiker wie SCHULZE-DELITZSCH, VIKTOR AIME HUBER, CHARLES GIDE, VAHAN TOTOMIANZ und auch OPPENHEIMER waren Gesellschaftstheoretiker, Volkswirte und [S. 348]

Soziologen, die sich über den innergesellschaftlichen Standort der Genossenschaft äußern konnten. Das heißt, sie hatten eine Vorstellung des Gesellschaftssystems, in dem sie lebten, und konnten daraus die Anforderungen ableiten, die eine Verbesserung desselben an die Genossenschaft stellt. Diese Klarheit über ihr Umfeld und Ziele muß der Genossenschaft gegeben sein, bevor sie ihre innerbetriebliche Strategie formuliert. Eine Genossenschaftswissenschaft, die das Umfeld der Genossenschaft nicht anständig erklären kann, hat so betrachtet überhaupt kein Recht, sich normativ in die inneren Vorgänge einer Genossenschaft einzumischen, die zumindest immerhin irgendeine Reaktion auf das Umfeld darstellen, wenn auch nicht immer die bestmögliche. Aber was sonst noch möglich ist neben dem, was ist, das hat der Wissenschaftler erst einmal vorzuführen. Und zwar nicht so, daß er diejenigen ins Elend stürzt, die ihm »glauben«, sondern so, daß er Dinge sichtbar macht, die ohne Theorie verborgen bleiben. Wenn er aber »die Augen öffnen kann« und theoretische Zusammenhänge nachvollziehbar offenlegt, dann wird das Eigeninteresse die Praxis von alleine in neue und bessere Bahnen lenken, vorausgesetzt, es ist nicht das ego-manische Eigeninteresse, sondern das zur indirekten Strategie über die Gruppe vereinigte Wir-Interesse, das auf diese Weise eine neue Reaktionsform bildet mit eigener Kultur und sozialen Grundwerten.

Nun wird der geneigte Leser an dieser Stelle der Arbeit selber beurteilen können, inwiefern etwa FRANZ OPPENHEIMER einen Beitrag zur theoretischen Erklärung des genossenschaftlichen Umfeldes und der genossenschaftlichen Herausforderung geleistet hat. Man mag sich über diesen Beitrag uneinig sein und vielleicht manches noch verbessern können, aber fraglos bot OPPENHEIMER in der deutschen Literatur zumindest einen Ansatz für eine allgemeine Theorie, über den die Genossenschaften ihre sozialpolitische Stellung und Aufgabe abklären könnten. Bezogen auf die internationale Literatur dürfte der Ansatz OPPENHEIMERs lediglich exemplarisch stehen und würde ein Vergleich vermutlich zahlreiche Autoren offenbaren, die bei ihren Untersuchungen zu ähnlichen Resultaten gekommen sind[670]. Doch der einst so bekannte OPPENHEIMER ist als deutscher Wissenschaftler speziell zur Erklärung deutscher Vorgänge in der Genossenschaftswissenschaft geeignet.

Wenden wir uns den Genossenschaftstheoretikern nach 1945 zu, dann ist das Spektrum anzutreffender theoretischer Grundhaltungen zwar immer noch breit, aber es gibt eine interessante Übereinstimmung bei denjenigen, die sich in der Genossenschaftstheorie durchgesetzt haben. Zu diesem Kreis zählen in grober Bestimmung JOSEF M. BACK, REINHOLD HENZLER, HANS OHM, HANS JÜRGEN SERAPHIM und HEINZ PAULICK. Um die Grenzen des Kreises exakter zu bestimmen, [S. 349] müßte man eine eigene Literaturstudie ansetzen. Als »Kreis« mit einem Innen und einem Außen wird er aber schon im Vorfeld exakter Bestimmung deutlich. Er beschreibt ein Meinungskartell der genannten Wissenschaftler mit der Grundausrichtung einer »Neuerfindung der Genossenschaftswissenschaft« unter (wohl bewußter) Außerachtlassung liberal-sozialistischer Traditionen.

REINHOLD HENZLER etwa legte 1927 in Frankfurt a. M. sein Examen als Diplomhandelslehrer ab, also just an jener Universität und in jenem Studiengang, den OPPENHEIMER zu jener Zeit betreut hat. Auch blieb HENZLER in Frankfurt und trat nach 1927 eine Assistentenstelle zum Zwecke der Promotion (1929) und Habilitation (1934) an. Sein besonderes Interesse galt dabei „der wissenschaftlichen Durchleuchtung des Handels und Marktwesens“ sowie dem Genossenschaftswesen[671]. Man wird bei HENZLER trotz umfangreicher Publikationen und überschneidendem Interessengebiet keinen Hinweis auf oder Auseinandersetzung mit OPPENHEIMER finden. Aus meiner Sicht ein Phänomen, wenn man bedenkt, daß PREISER, ERHARD und andere Studenten alle anderen Veranstaltungen links liegen ließen, um OPPENHEIMER zu hören, der zu den wenigen Dozenten Frankfurts überhaupt gehörte, die so etwas wie »Theorie« (? 123 und 124) und nach TOTOMIANZ obendrein Genossenschaftstheorie bot (? 306). Die seltsame Schweigsamkeit von HENZLER ließe sich schlüssig erklären, wenn man davon ausgeht, daß HENZLER eine andere politische Grundauffassung vertrat als OPPENHEIMER. Seine Berufung 1937 als Extraordinarius und 1940 als ordentlicher Professor ist Indikator (nicht Beleg) einer Mitgliedschaft in NS-Dozentenbund und/oder NSDAP. LUDWIG ERHARD wurde vergleichsweise die Habilitation verweigert und die Leitung seines Institutes entzogen, weil er einen Parteibeitritt ablehnte. ERICH EGNER schreibt zudem, daß sich nach seiner Kenntnis für HENZLER nach dem Krieg Schwierigkeiten wegen seiner Parteizugehörigkeit ergeben hätten[672]. Auch dieser Hinweis erlaubt noch keine abschließende Beurteilung, aber was hat es nun auf sich mit der a priori eingenommenen Haltung des Wissenschaftlers HENZLER, der sich scheinbar objektiv als Genossenschaftstheoretiker profiliert und die Genossenschaftswissenschaft nach 1945 prägt, aber dabei bestimmte Linien genossenschaftlicher Tradition ausblendet und neue einführt, von denen man sich fragen muß, welche Motivation hinter dem betriebenen Aufwand steht.

HENZLER veröffentlichte 1934 eine kleine Schrift, die in diesem Punkt klare Auskunft gibt. Die Schrift „enthält Aufsätze über genossenschaftliche Fragen, die zum Teil vor, zum anderen Teil nach der nationalsozialistischen Revolution geschrieben (...) worden sind.“[673] Inhalt und Titel der Schrift verfolgt nicht weniger als eine Erneuerung des deutschen Genossenschaftswesens. HENZLER an selber Stelle: [S. 350]

„Das Genossenschaftswesen ruht nicht auf einem wirtschaftlichen, sondern auch auf einem ideologischen Fundament. Seine ideologischen Pfeiler, ohne die das, was geschaffen worden ist, unmöglich hätte erreicht werden können, drohten im Laufe der Entwicklung immer mehr ins Wanken zu kommen. Unverkennbar ist in der Gegenwart in allen am Genossenschaftswesen Beteiligten das Bedürfnis, mit den wirtschaftlichen Grundlagen und dem Ideengehalt des Genossenschaftswesens eingehend vertraut zu werden, stärker denn je. Wird diesem Bedürfnis in der richtigen Weise entsprochen, so dürften die besten Voraussetzungen für eine Stärkung und Erneuerung des deutschen Genossenschaftswesens gegeben sein.“

Wer die damals gültigen Sprachregelungen kennt weiß, daß mit »Erneuerung des deutschen Genossenschaftswesens« etwas ganz Bestimmtes gemeint war. Das unscheinbare Wörtchen »deutsch« an dieser Stelle bezeichnet keine Örtlichkeit, sondern ein antijüdisches, antiliberalsozialistisches Programm. Der 7. Aufsatz mit dem Titel »Der Führergedanke im deutschen Genossenschaftswesen« spricht die HENZLER-Ideologie offen aus.

„Aus dem Vorhandensein einer genossenschaftlichen Betriebsgemeinschaft und der Gesamtheit der Genossen vermögen sehr leicht Interessengegensätze zwischen diesen beiden Teilen zu resultieren. (...) Um diese verschiedenen Einzelwillen zu einem einheitlich gerichteten Gemeinschaftswillen umbilden zu können, muß der Leiter einer Genossenschaft, wie schon einmal angedeutet wurde, neben einer gründlichen Sachkenntnis höchsten Sinn für ausgleichende Gerechtigkeit besitzen und bis zu einem großen Grad souverän tätig sein können. (...) Ihm muß, gegebenenfalls durch entsprechende Machtmittel, zunächst die Gemeinschaft bedingungslos folgen; auf die Dauer muß sie aber durch Überzeugung Vertrauen in ihre Führung gewinnen und in eine freiwillige Gefolgschaft hinübergeleitet werden. (...) Weil im Mittelpunkt des Genossenschaftswesens stets die Menschen stehen, ist eine Erneuerung der Genossenschaften immer zuerst eine geistige Erneuerung der Genossenschafter; sie ist nicht, wie viele meinen, in der Hauptsache ein Problem der Betriebsorganisation, sondern eine Erziehungsfrage. Die bei allen möglichen Unterschieden von Einzelinteressen doch auch nach gleichen Zielen strebende Gesamtheit der Genossen ist auf die Dauer immer führungsbedürftig. Die konsequente Anwendung des demokratischen Prinzips in jedem Einzelfall kann nicht dem Wunsche einer echten Gemeinschaft entsprechen. Demokratie -wörtlich übersetzt: Herrschaft des Volkes -ist am ehesten anwendbar, wo ein Volk als Gemeinschaft gegeben ist. Hier ist sie meist aber auch überflüssig. (...) Es ist gar kein Zweifel, daß die dauernde Verkündigung der Freiheit des Einzelwesens auch die Genossenschaften beeinflußt und bei einer größeren Zahl von ihnen auflösend, desorganisierend gewirkt hat. (...) Eine solche Regelung, die in der Richtung einer konsequenten Durchführung des Führerprinzips liegt, ist im Genossenschaftswesen leichter durchführbar als in der Privatwirtschaft und bedeutet eine weitgehende Annäherung der genossenschaftlichen Organisation an die staatspolitische Gestaltung.“[674]

Man lese zum Vergleich den Beitrag von GLAEßNER und SCHERER[675] und wird zu der Überzeugung gelangen, daß HENZLER mit seinem Beitrag den Umbau der [S. 351] Genossenschaften im Sinne der NS-Ideologie einfordert, samt deren Eingliederung in die allgemeine staatspolitische Bewegung, sprich: den Umbau des Staates nach NS-Programm. HENZLER:

„Für die Gegenwart und Zukunft des deutschen Volkes und seiner Wirtschaft erhebt sich die Frage: Können die tragenden Ideen des Genossenschaftswesens mit den Prinzipien, nach denen die deutsche Wirtschaft neu geordnet werden soll, in Einklang gebracht werden? (...) Und für eine echte Genossenschaft gilt ebenso wie für den deutschen Staat der Zukunft das Wort HITLERs: Erst über den Weg der Allgemeinheit erhält der einzelne seinen Teil wieder zurück.“[676]

Man erhält unweigerlich weitere Anhaltspunkte, wenn man die subjektive Voreinstellung eines eher randständigen Mitgliedes des oben bezeichneten Zirkels hört. Im Zusammenhang mit GEORG WEIPPERT, den ich in vielerlei Hinsicht positiv würdigen möchte, schreibt BRUNO SEIDEL:

„WEIPPERT braucht tatsächlich nicht gegen den Vorwurf des Faschismus oder Kryptonazismus in Schutz genommen zu werden. Die Möglichkeit einer schiefen und verzerrten Perspektive ergibt sich für WEIPPERT aber u. U. aufgrund seines schulmäßigen Hervorkommens und der damit gegebenen begrifflichen und theoretischen Vorprägung. Die Zusammenhänge hat er selbst nie in Abrede gestellt oder abzuschwächen versucht. (...) Hier war es unter anderem bzw. vor allem die von V. GOTTL vertretene sozialwissenschaftliche Richtung, die mit ihren deutlich ausgeprägten antiwestlichen, antiindividualistischen, anti-»materialistischen« und antiliberalen (liberal im Sinne von frühliberal-manchasterlich) Akzenten den Wünschen nach einer »deutschen« Gesellschaftsund Volkswirtschaftslehre entgegenkam, die anstelle der westlich, liberalistisch und vor allem jüdisch infizierten Nationalökonomie (D. RICARDO, K. MARX) treten sollte. Das lag dann nach den damit verbundenen nationalsozialistischen Intentionen auf der gleichen niederen und morastigen Ebene wie jene anderen Versuche, eine »deutsche« Mathematik oder Physik (gegen die »jüdische« Relativitätslehre A. EINSTEINS) zuwege zu bringen. Unterstützt wurden diese Bestrebungen freilich durch die politische Instinktlosigkeit und Unwissenschaftlichkeit einer Reihe von Vertretern gerade dieser Richtung, denen WEIPPERT jedoch eindeutig nicht zugerechnet werden kann.“[677]

Dem Werk WEIPPERTs läßt sich nach meinem Dafürhalten der offene Umgang mit der eigenen Gewordenheit ansehen. Und wenn der Mensch erst einmal seine Werdung als Prozeß thematisiert, dann transzendiert er sich damit zugleich und wird vom Geschöpf zum Schöpfer seiner selbst. Will sagen: nach Kritik an WEIPPERT steht mir nicht unbedingt der Sinn (vgl. zur suprasozialen Persönlichkeit ? 281). Aber SEIDEL erklärt uns mit ihr eine ganze Menge über Hintergründe und Einstellungen, über die sich die Personen im engeren Kreis des Meinungskartells ausschweigen. Wie stark wirkt in diesem Kreis das Motiv nach, der »jüdisch infizierten [S. 352] Nationalökonomie« eine »deutsche Theorie« entgegenzusetzen? Wie weit ist die antiindividualistische und antiliberale Werthaltung eines Post-NS-Verbandes prägendes Motiv westdeutscher Genossenschaftstheorie? Je mehr Zeit in dieser Angelegenheit verstreicht, desto drängender stellt sich die Frage, wer überhaupt noch aus seinem Kenntnisstand in der Lage wäre, eine glaubwürdige Aufarbeitung zu leisten. Dabei ginge es nicht so sehr um das Problem »Genossenschaftswesen und Faschismus«, als vielmehr um das Problem, daß der Faschismus eine herrschaftliche Ideologie verkörpert und auf diesem Wege meiner Ansicht nach eine herrschaftliche Theorie der Genossenschaft eingeführt wurde, was einen Grundwiderspruch in der heutigen Genossenschaftstheorie darstellen könnte, der erklärt, was an der Leistungsunfähigkeit von Theorie und Praxis bemängelt wird. Ein solcher Grundwiderspruch würde wirken wie die Speerspitze in einem Körper oder eine falsches Grundaxiom bei irgendeiner Theorie. Eine verdeckt existente Werthaltung, die »Disziplin und Gehorsam« hervorhebt und jeden »aussortiert, der sich nicht einfügt«, würde eine denkbar schlechte Ausgangstatsache bei der Reaktivierung eines zuvor herrschaftlich zerschlagenen und den Abteilungen der Deutschen Arbeitsfront untergeordneten Genossenschaftswesens darstellen.

Folgen wir dieser Spur weiter. An HEINZ PAULICK lobt FRIEDRICH KLEIN „die Lauterkeit der Gesinnung, seinen scharfen juristischen Verstand, sein abwägendes und besonnenes Urteil“[678], was sich kaum in Abrede stellen läßt. PAULICKs Weg ist aber auch gekennzeichnet von einer Karriere während der NS-Zeit, über die in dieser Laudatio kein kritisches Wort verloren wird.

„Nach vorübergehender Tätigkeit als Lehrer an der Reichsfinanzschule Herrsching am Ammersee war er vom 1. Oktober 1938 bis 30. September 1939 Vorsteher des Finanzamts Rumburg/Sudetengau. Von dort wurde er als Leiter der Rechts-und Steuerabteilung zur Austria-Tabak-Regie in Wien versetzt und am 1. Januar 1940 als juristischer Hilfsarbeiter in das Reichsfinanzministerium in Berlin -Betriebsprüfungsreferat abgeordnet; mit dieser Abordnung war die Stelle eines Lehrers an der Reichsfinanzakademie in Berlin-Tegel verbunden.“[679]

PAULICK hat nach dem Krieg die »Rechtspraxis des Genossenschaftswesens nachhaltig beeinflußt«. Nach welchem gesellschaftstheoretischen Grundverständnis und mit welchem Nutzen/Schaden läßt sich hier unmöglich einschätzen. Doch darum geht es auch nicht. Die Reichsfinanzbehörden waren während der NS-Zeit Organ der Enteignung jüdischen und genossenschaftlichen Eigentums. Diese Behörde mit sensiblem politischem Auftrag berief keine Widerständler oder Sozialisten auf leitende Positionen. Besonnen oder nicht steigt man in solchen Strukturen nur auf, wenn sich die von der Person verkörperte Weltsicht mit dem Auftrag vereinbaren läßt. Ist PAULICK ein weiterer Vertreter herrschaftlicher Genossenschaftstheorie? [S. 353]

Über JOSEF M. BACK schreibt OSWALD HAHN: „bescheiden bis zur Selbstverleugnung; nicht den Ruhm des Stars suchend; Forschung, Lehre und Herausgeberschaft nicht eigenen Interessen unterwerfend, sondern der großen Gesamtaufgabe gewidmet.“[680] Als Theoretiker hatte BACK nach dem Kriege wesentlichen Anteil an der Standortbestimmung der Genossenschaften im Wirtschafts-und Gesellschaftsleben. Als Nationalökonom mit philosophischem Einschlag wäre er neben WEIPPERT und WEISSER wohl am ehesten befähigt gewesen, in diesem Punkt eine Position zu erarbeiten. Aber so günstig wie HAHN die Arbeit BACKs beurteilt, will mir dessen Beitrag nicht scheinen.

Denn BACK hat bereits als Nationalökonom eine theoretische Position bezogen, die alle Gütekriterien politischer Enthaltsamkeit aufweist, die eine Lehre aufweisen muß, um als Lehre der Herrschenden akzeptiert werden zu können. Bei OPPENHEIMER sind »politische« und »reine« Ökonomie nach den Einkommensformen aus Raub und aus Arbeit geschieden. Teil der bürgerlichen Ideologie ist die Leugnung der empirisch und historisch schwer ins Gewicht fallenden Aneignung durch Raub oder politisch verfeinerter Mittel. Diese Gruppe der politischen Mittel führt bei OPPENHEIMER zur Entwicklung einer (Klassen-)Monopoltheorie, die ihrerseits wiederum geeignet ist, die Entstehung genossenschaftlicher Abwehrverbände zu erklären. Der Ansatz BACKs ignoriert nun den Begriff der politischen Ökonomie völlig und ergeht sich ausschließend in der Konstruktion eines »ontischen Seins der Wirtschaft«, also einer »Wesensstruktur des Wirtschaftsgeschehens, deren Ursprung und Urgrund, Gesetzmäßigkeiten und Notwendigkeiten« nur in den Griff zu bekommen seien, wenn man das wirtschaftliche Geschehen »in der kategorialen Anschauung als nichtsinnliche mögliche Seinsordnung auffasse«.[681] Dazu ein Zitat:

„Die ontische Wirklichkeit der Wirtschaft ist dasjenige Sein, das der Wirtschaft wesensnotwendig zukommen muß, wenn sie als Wirklichkeit möglich sein soll und als mögliche soll erfahren werden können. Das ontische Sein der Wirtschaft ist ein allgemeines Sein, das nur die Möglichkeit der Wirtschaft (als Wirklichkeit) betrifft und die ganze unbestimmte Fülle faktischer Wirtschaftserscheinungen (als möglicher) umschließt. Das ontische Sein der Wirtschaft stellt eine gesetzesmäßige Ordnung dar, da alle Wirklichkeit nur als gesetzesmäßige Ordnung möglich ist und nur als solche erfahren werden kann. Über die ontische Wirklichkeit der Wirtschaft lassen sich allgemeingültige Aussagen machen. Das ontische Sein der Wirtschaft ist an der wirklichen Wirtschaft in den Blick zu bekommen, aber nur, wenn man die wirkliche Wirtschaft nicht als faktisch-reale, sondern als mögliche betrachtet und sie auf die Voraussetzungen und Bestimmungen ihrer Möglichkeit hin untersucht. Die ontologische Betrachtung der wirklichen Wirtschaft ist prinzipiell immer durchführbar, da ja die Wirklichkeit des Seins der beste Beweis seiner Möglichkeit ist. Jedes wirklich Seiende kann daher stets sowohl auf sein faktisch-reales Sein, als auch auf sein Möglichsein hin untersucht werden; das schließt schon der Begriff des Wirklichseins in sich. Es handelt sich bei der ontischen Forschung nicht um die Analyse fingierter oder phantastischer, sondern um [S. 354] die Analyse wirklicher Möglichkeiten, die eine wirkliche, exakt faßbare Bestimmtheit aufweisen.“[682]

Und so weiter und so fort. BACK behauptet durch seine Aneinanderkettung der Begriffe »Wirklichkeit«, »Möglichkeit« und »Sein« nicht weniger als die Existenz einer höheren Einsicht, die als wirkliche Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit verborgen läge. Ein brauchbares theoretisches System würde statt dessen zur Forderung erheben, daß sich alle Erscheinungen der Vergangenheit, Gegenwart und am liebsten auch Zukunft darüber ein-deutig erklären lassen. Wenn der bürgerliche Theoretiker und Philosoph hinter dem, was er vordergründig glaubt, noch eine eigentlich wirkliche Wahrheit vermutet, dann ist dies nichts anderes als ein intellektueller Reflex auf die Scheinwelt, in der er lebt. Ihm dämmert etwas von der eigentlichen Erkenntnis, die sich auftäte, wenn der Schleier des Scheins zerrissen würde. Da er aber nicht glauben will, was sich erkennen ließe, wenn er die Dinge in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit und Schlichtheit an sich heranließe, weil ihm die sich so eröffnende Sicht von seiner klassenspezifischen Voreingenommenheit her gesehen nicht behagt, lamentiert er Bücher lang an der Frage herum, ob er seinen Glauben berechtigt ablegen dürfe, ohne dadurch zum Verräter an seiner Klasse zu werden. Heraus kommt dabei keine Erkenntnis über die Dinge, die ihm angeblich wichtig sind, sondern ein aufwendiger Zirkus um winzige Schritte persönlicher Bewegung, an die er gebunden ist, weil ihm seine klassenspezifischen Vorurteile nicht bewußt sind. Den Herrschenden aber ist er ein guter Freund, schon alleine, weil er in seinem Winden so viel Aufmerksamkeit beansprucht und dabei nichts konkret werden läßt.

Ich kann bei BACK nicht beurteilen, wie stark - oder ob überhaupt - er Teil der NS-Maschinerie wurde. HAHN gibt an, daß BACK nach Extraordinariat in Freiburg (1936) und Königsberg (1937) einer Berufung nach Innsbruck (1940) folgte. „1945 mußte der Reichsdeutsche das Land verlassen. Es begann die Leidenszeit des vertriebenen Hochschullehrers, die erst 1953 mit einer a.o.-Professur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen abschloß.“[683]

Und das ist schon eine merkwürdige Formulierung, die HAHN dem Jubilar kaum angetragen hätte, wenn sie BACK nicht mit seinem Selbstverständnis abgedeckt hätte. Sie besagt leider nichts darüber, welchen Auftritt der Reichsdeutsche in Innsbruck hatte und wie ungerechtfertigt die »Vertreibung« nach 1945 war, bzw. was man dem »Vertriebenen« bis 1953 entgegenhielt, daß die Spanne von acht Jahren zu einer »Leidenszeit« wurde, während derer sich BACK von der Volkswirtschaftslehre ab-und dem Genossenschaftswesen zuwandte. Naheliegend scheint mir hier als zusätzliche Erklärung, daß BACK nicht unwesentlich der Lehre GOTTLs zugesprochen hat[684], die nach der NS-Zeit nicht mehr salonfähig war. Über die [S. 355] Lehre GOTTLs hat BRUNO SEIDEL oben (? 351) geschrieben, daß sie entschieden antimaterialistisch (d. h. antimarxistisch) und antijüdisch (d. h. antidemokratisch[685]) war.

Nun ist es mir hier völlig unmöglich, mehr als eine begründete These über die geistige Voreinstellung einiger Genossenschaftstheoretiker nach 1945 zu formulieren. Der ausdrückliche Hinweis darauf, daß es mir unmöglich war, im Rahmen dieser Arbeit eine systematische Aufarbeitung dieses Punktes zu leisten, wird es statthaft machen, die These der problematischen Konstellation in den Raum zu stellen. Dabei geht es weniger um die ideologische Nähe konkreter Personen zum Faschismus als vielmehr um eine Erklärung dessen, was durch die Genossenschaftstheoretiker[686] nach 1945 hervorgehoben bzw. ausgeblendet wurde. Und da fällt eben jener Zirkel auf, der die »Neuerfindung« der Genossenschaftstheorie und eine bemerkenswerte »Unkenntnis« liberal-sozialistischer Gesellschaftstheorie an den Tag legt. So scheint mir in der Genossenschaftstheorie die Wurzel dessen zu liegen, worüber BEYWL und FLIEGER schreiben:

„Viele, die das genossenschaftliche Gedankengut durch ihre Persönlichkeit und Integrität verkörperten, überlebten den Nationalsozialismus nicht. Ohne die Aufbauleistungen derer in Frage zu stellen, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg übernehmen: Der neuen Generation gelingt es nicht, die Nachkriegsgenossenschaften wieder mit dem Genossenschaftsgeist zu »beseelen« und zu »beflügeln«, der ihnen die Kraft, Ausstrahlung und Faszination in den ersten Jahrzehnten Anfang dieses Jahrhunderts gibt.“[687] [S. 356]

4.2.3. Die allgemein-theoretische Ausblendung des Genossenschaftlichen

Alles Denken ist eine Reduktion real-lebendiger Vielfalt auf Begriffe und Sätze, die aus dieser Vielfalt etwas mehr oder weniger Bedeutendes hervorheben. Diese Reduktion ist dem Menschen eine Erleichterung, wenn sie ihn Strukturen erkennen läßt, die ursächlich oder kennzeichnend für eine Vielzahl von Phänomenen stehen. »Strukturen erkennen heißt: sich nicht im Detail verlieren.« Reduktionen können andererseits aber auch immer etwas »unsichtbar werden lassen«, wenn die Betonung oder Hervorhebung bestimmter Punkte an Zeit und Kraft so viel beansprucht, daß andere Wahrnehmungen dahinter verschwinden.

Genossenschaftstheorie ist von dieser Seite her betrachtet -wie auch jede andere Theorie -niemals frei von Wirkungen und Wertungen. Jede Fixierung auf eine Denkstrategie hier beinhaltet die Unterlassung dort, weil der Mensch als ein in Zeit und Kraft begrenztes Wesen nur ein Budget zu vergeben hat, aus dem er sein Maximum möglicher Erkenntnis bestreitet. Von daher sollte man sich in der Wissenschaft viel öfter keine herrschende Meinung wünschen, sondern eine Vielfalt unterschiedlich ansetzender Sichtweisen, die sich im Falle der Erkenntnis von Wahrheiten aufeinander zu bewegen.

Aus der »Budgetbeschränkung der Erkenntnisfähigkeit« ergibt sich die Notwendigkeit einer metatheoretischen Präferenzordnung der Erkenntnisstrategie. Während die metatheoretische Präferenzordnung der Erkenntnisstrategie in technischen, naturwissenschaftlichen oder von vornherein instrumentell gedachten Zusammenhängen selbstverständlich ist (»das Wichtigste zuerst«), wird sie in den Gesellschaftswissenschaften mitunter »Problem«. Denn in den Gesellschaftswissenschaften urteilt der Mensch nicht über einen Gegenstand geringerer Intelligenz, Dynamik und Komplexität, sondern er nimmt es mit sich selber und seiner eigenen Art auf. Das heißt aber, daß er in vielen Fällen nicht »über den Dingen« steht und einen ihm unterlegenen Sachverhalt beobachtet, sondern daß die Dinge selbst durch eine gleichwertige oder höhere Intelligenz, Dynamik und Komplexität generiert werden. Wenn es aber beispielsweise so wäre, daß das Realitäten erzeugende Muster einer Kollektiv-Intelligenz »Genossenschaft« von höherer Ordnung wäre als eine Einzelperson fassen kann, dann wären die Äußerungen der beobachtenden Einzelpersonen ein Spiegel der Einzelpersonen und ihrer Verständnisgrenzen, nicht aber ein Abbild der Kollektiv-Intelligenz und ihrer Bewegung.

Der Gedankengang liegt etwas quer und bedarf einer Begründung. Der Grund ist ein methodischer. Denn erstens dürfte gelten, daß Menschen wohl das Verhalten von Ameisen, aber Ameisen nicht das Verhalten von Menschen verstehen können. Es gibt also eine Regel der Verstehbarkeit in fallender Linie und der Überforderung in steigender Linie. Zweitens aber sind Verhaltensreaktionen so komplex begründet wie die Umstände, die sie auslösen. Das heißt beim Menschen, daß des Menschen Welt verstanden werden muß, um seine Reaktionen auf dieselbe verstehen zu können. Und es kann bei einem Menschen-Kollektiv bedeuten, daß [S. 357] die Summe der sich verhaltenden Intelligenzen durch ihre Mehrfach-Wahrnehmung ein ganz anderes Sinnes-Organ bildet als das »Ein-Hirn« des Forschers. Wenn die Kollektiv-Intelligenz aber alle Möglichkeiten und einige mehr als die Singular-Intelligenz des Beobachters umfassen würde, dann hätten wir die kuriose Situation des Erkenntnisnotstandes aufsteigender Linie. (Dieses »Mehr« einer Kollektiv-Intelligenz könnte sich etwa aus dem Genuß der Sozialität als solcher speisen, die mit ihren eigenen Gesetzlichkeiten und Wertungen das Kollektiv zusammenhält und auf effektive Weise primäre soziale Glücksempfindungen schafft, die, ohne daß der einzelne dies reflektieren müßte, auch eine allgemeine Verhaltensausrichtung anreizen, aus der ein größeres Maß an sozialer Absicherung und Gerechtigkeit erwächst.)

Ich will hier nicht mit Nachdruck einführen, daß es diesen Erkenntnisnotstand aufsteigender Linie gegenüber der Genossenschaft gibt. Wohl aber sehe ich die Möglichkeit, daß es ihn geben könnte und die Gefahr eines systematischen Fehlers in der Theoriebildung, wenn diese Möglichkeit substantiell gehaltvoll wäre, aber von dem Forscher übersehen wird. Denn dies könnte bedeuten: Die Welt ist kompliziert und wird kaum verstanden. Die Genossenschaft ist eine komplexe Reaktion auf die komplizierte Welt nach einem überindividuellen Verarbeitungsmuster (? 228). In diesem Muster gäbe es eine Gruppen-Realität, Gruppen-Identität und eine Reiz-Reaktions-Verarbeitung von Umweltbedingungen nach überindividuellem (sozialem) Modus. Und das hieße nun, daß die Genossenschaft nicht dieses oder jenes ist, also keine bestimmte Äußerlichkeit aufweist, wie etwa ein Tisch, der stets eine Arbeitsfläche und einen Unterbau zur Erhöhung der Fläche hat und deswegen in seiner Funktion als Tisch erkannt wird, sondern die Genossenschaft wäre eine im Prinzip formungebundene (Re-)Aktions-Figur, der man die Bezeichnung »Genossenschaft« aus einem anderen Grunde zuordnet, der sich durch die Abgrenzung gegenüber der anderen formungebundenen Aktionsfigur erschließt: der Herrschaft.

Daraus erwächst die nicht gerade einfach zu bewältigende Herausforderung, alle Teilgebiete der Gesellschaftswissenschaften in den Rahmen einer Wechselbeziehung Umwelt <=> Mensch zu setzen und dabei obendrein nach einer genossenschaftlichen und einer nichtgenossenschaftlichen Form der reaktiven Wechselbeziehung zu differenzieren. Die Schwierigkeit der Aufgabe liegt zu einem Teil darin, daß der Gegenstand mit seinen Erscheinungen so kompliziert ist wie die ihn erzeugenden Verhältnisse selbst. Und zweitens fehlen uns bei dieser Operation die genossenschaftsadäquaten Denkkategorien, weil eine in herrschaftlichen Systemen geübte Denkarbeit alle Figuren tendenziell aus jener »Realität« der Herrschaft bezieht und ihre Erkenntnispräferenzen entsprechend dieser Vorstruktur festlegt. Man könnte sogar soweit gehen und vermuten, daß die Denkperspektive des einzelnen Forschers tendenziell eine herrschaftliche ist, weil der Vorgang der singularen Weltbewältigung genau dem Erkenntnisproblem singularer Unternehmenslenker oder Weltbeherrscher entspricht. Eine genossenschaftliche und somit auf soziale Verbundenheit und Ausgleich bedachte Welterkenntnis könnte an das Zustandekommen eines zusätzlichen sozialen Aktes innerhalb der Forschung selber [S. 358] gebunden sein, nämlich den Akt der kommunikativen Vermittlung maximal heterogener Erkenntnisstandpunkte[688]. Der bereits nicht genossenschaftlich ausgerichtete akademische Erkenntnisprozeß könnte möglicherweise zur Folge haben, daß er ein sich selbst adäquates und verengtes Weltbild hervorbringt, in dem es wohl herrschaftliche Theorien der Genossenschaft und kapitalistische Theorien der Marktwirtschaft gibt, aber eine Theorie der Genossenschaft und des Marktes in genossenschaftlichen Kategorien allenfalls verdeckt existiert.

Der Genossenschaftler wird heute in aller Regel zu hören bekommen, daß es bereits eine allgemeine Theorie der Unternehmung und des Marktes gäbe und die Genossenschaft dieser »allgemeinen« Theorie eingeordnet werden müßte. Theoretiker, die an der Genossenschaft keine Besonderheit erkennen und diese vom Denkansatz allen anderen Unternehmen gleichstellen, gehen bei ihren Überlegungen meist nicht von konkreten sozialen Verhältnissen aus, die sich in den Unternehmenskonstruktionen und Unternehmenszielen widerspiegeln, sondern sie stellen an den Anfang ihrer Überlegungen eine modellhafte Abstraktion der Marktwirtschaft, von der man aus gutem Grund fordert, daß dort freier Wettbewerb herrsche, der man aber im Zuge dieser Forderung zur Vereinfachung des Modells in einem Atemzug auch unterstellt, daß der freie Wettbewerb tatsächlich das dominierende Prinzip sei. Weil alle Faktoren der politischen Ökonomie als »Störungen« des Ideals verstanden werden, sieht man sich berechtigt, von einer weiteren Berücksichtigung der »Störungen« abzusehen. Sie werden völlig ungeachtet ihres tatsächlichen Gewichtes als dem ökonomischen Modell »extern« definiert, so daß die Gesellschaftswirtschaft mit ihren tatsächlichen Abläufen in den ökonomischen Modellen nur bedingt berücksichtigt wird.

Von der Seite einer reinen Modellkonstruktion her argumentiert kann man natürlich seine Modelle bauen, wie es beliebt. Überträgt man den Gedanken auf ein Schachspiel mit seinen vergleichsweise wenigen Regeln, dann ist es obendrein möglich, Tausende kluger Leute mit der Analyse zu beschäftigen, was aus den gesetzten Regeln des Schachspiels logisch folgt. Entsprechend gibt es auch im Schach eine »Theorie«. Aber diese Modelle haben einen Haken, der beim Schach noch offensichtlich ist: Es kann bei der Analyse nichts anderes herauskommen, als mit den Regeln bereits angelegt wurde. Und so ist es auch mit den Modellen der Ökonomie. Wo die tatsächlichen politischen Verhältnisse nicht in das Modell mit eingehen, da gibt es auch keine Menschen mehr, die unterdrücken oder unterdrückt werden, keine Organisationen mehr, die herrschen oder sich gegen die Herrschaft wehren wollen. Es gibt in diesen Modellen keine »Demokratie«, keine »Menschenrechte« [S. 359], keine »Humanität«, kein »Überleben«, weil diese als Variablen nicht definiert sind und zugegebenermaßen nur selten auch »wirtschaftlich« sind.

So ist es, wenn man die von allen sozialen Werten bereinigte ökonomische Frage zum Maß aller Dinge erhebt, natürlich vorteilhafter, gewisse Arbeiten von Kindern für DM 6,-verrichten zu lassen als von Erwachsenen für DM 30,-. Und selbstverständlich klagten die frühen Unternehmer über eine Verschlechterung ihrer Gewinnerwartungen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit, wenn in Deutschland die Kinderarbeit verboten würde. Ebenso selbstverständlich findet Kinderarbeit in allen Ländern statt, in denen sie nicht verboten ist, und werden die von Kindern hergestellten Produkte von Händlern jener Länder importiert, in denen die Kinderarbeit selber verboten ist. »Humanität« ist nun einmal keine ökonomische Kategorie. Sie wird den meisten Unternehmen vielmehr von außen als »Rahmenbedingung« aufgezwungen, und so will das Klagen darüber auch kein Ende nehmen[689].

Der tiefere Kern dieses Auseinanderklaffens von Ökonomie und Humanität, worunter ich hier der Einfachheit halber die ebenso diskutierten Begriffe der »Ethik« und »Ökologie« mit erfassen möchte[690], rührt von dem Umstand her, daß die Verletzung der Humanität von einer anderen Personengruppe ertragen werden muß als jener, die ihren Nutzen mit ihrem wirtschaftenden Handeln maximiert. Wenn in der Umgebung eines Kernkraftwerkes vermehrt Leukämiefälle auftreten, dann sind es nicht die Aktionäre des Kraftwerksbetreibers, die da ihr Leben verlieren, sondern außenstehende Dritte, die nach der herrschenden Rechtsauffassung auch kaum eine Chance haben, in der Bilanz des Kraftwerksbetreibers als Kostenfaktor aufzutauchen. Könnte sich jedes vernichtete Leben mit einem Buchungsbetrag von 5 Mio. DM »zu Worte melden«, dann würde sich diese Technik möglicherweise [S. 360] ganz schnell auch nicht mehr »rechnen«[691]. Könnte jeder Beschäftigte für die Verletzung seiner Menschenwürde einen Betrag einklagen, so wie etwa ein Schmerzensgeld bei Vorfällen im privaten Bereich möglich ist, dann würden sich auch bestimmte Unternehmenstechniken nicht mehr rechnen, bei denen der Mensch heute noch seine bürgerlichen Freiheiten »an der Stechuhr abgeben muß«.

Zweierlei kann man dazu ganz grundsätzlich anmerken. Eine auf Herrschaft bauende Ökonomie zielt von ihrer Anlage her auf manigfache Formen der Ausbeutung. Sicherlich werden in dieser Ökonomie viele Werte durch Fleiß erstellt, aber ebenso selbstverständlich werden in ihr Lasten verteilt, für die der Belastete keine Ansprüche geltend machen kann. Das Recht auf eine angemessene Bewertung der Belastungen kann eine Person, die nicht im Zentrum der Macht steht, durch gute Rede alleine nicht geltend machen. Und deswegen bleibt es auch ein kaum zu lösendes Problem der Rechtsprechung, die zu ertragenden Lasten dergestalt in Geldwert zu bemessen und ursächlich zuzuordnen, daß sie als Faktoren überhaupt in die Bilanz desjenigen eingehen, der da einen privaten Nutzen aus der unvergüteten Belastung anderer zieht.

Wo wir hingegen Genossenschaften im weitesten Sinne des Wortes antreffen, da sind die Gruppen, die sich im Falle der herrschaftlichen Ausbeutung gegenüberstehen, in einem geeinten sozialen Körper aufgegangen. Statt etwa in den Grenzen eines Unternehmens in Arbeitgeber und Arbeitnehmer gespalten zu sein, suchte die alte Genossenschaft ihre Mitglieder mit gleichen Rechten und Pflichten zu assoziieren. Oder, übertragen auf die Ereignisse innerhalb der Grenzen einer Gebietskörperschaft, würde deren Selbstverwaltung automatisch Energiegewinnungsverfahren und sonstige Techniken begünstigen, bei denen die Gefährdung der Mitglieder kritisch mit berücksichtigt wird. Letztlich hätte ein jeder seine Handlungen gegenüber der nachwachsenden Jugend, gleichaltrigen und älteren Genossen zu verantworten, weil er mit ihnen über längere Zeiträume hinweg sozial verbunden ist und somit nicht nur natürlich ein »Gewissen gegenüber der Gruppe« in sich trägt, sondern auch tragen muß, da er anders als durch besondere Umsichtigkeit und Gerechtigkeit gar nicht positiv auffallen kann.

Eine allgemeine Theorie der Unternehmung, der Wirtschaft und der sozialen Organisation würde im ersten Schritt die Unterscheidung der zwei Hauptabteilungen disjunktiv entgegenstehender Sozialbeziehungen erfordern. Ihr müßten die soziologischen Grundbegriffe »Herrschaft« versus »Genossenschaft« als Ausgangstatsachen gelten, in deren Spannungsfeld sich dann die sozialen Bewegungen auf der Zeitachse wiederfinden lassen. Statt dessen wird die eine Hauptabteilung, die der Herrschaft, mit der »allgemeinen Theorie« gleichgesetzt und ihr Gegenbegriff [S. 361] unter herrschaftliche Kategorien subsumiert. Man ist so auf herrschaftliche Zusammenhänge konzentriert, daß die Wahrnehmung des genossenschaftlichen Gegenmusters schlicht hinter der Fixierung auf das Herrschafts-Muster verschwindet. So dieses »Verschwindenlassen« die Dimension einer wie auch immer motivierten Verhaltenssystematik annimmt, greift dafür der Begriff der »Ideologie«.

Eine Ideologie läßt sich als Ideologie entlarven, indem man die perspektivische Verengung des Denkansatzes entdeckt und einen allgemeingültigeren Ansatz formuliert, der alle oder mehr Fälle enthält als die ideologische Verengung. Eine solche Aufdeckung ideologisch verengter Ansätze wäre nicht zu fordern, weil die Ereignisse der Vergangenheit uminterpretiert werden müßten. Die Vergangenheit existiert als Tatsache völlig unabhängig von der Frage, welchen Ausschnitt der Mensch daraus verstanden hat und in seiner Kommentierung hervorhebt. Nein, der eigentliche Punkt bei der Auseinandersetzung ist das handlungsleitende Wissen, mit dem der Mensch auf die Gegenwart und Zukunft einwirkt. Ein ideologisch verengter Ansatz, der als angebliche Lernerfahrung der Vergangenheit umschlägt in Handlungsanleitung, der schafft sich über die Wissensvorprägung eine entsprechende Realität, weil die ideologische Verengung das Spektrum der Möglichkeiten genau auf diese verengte Vorstellung hin verkürzt.

Der herrschaftliche Aufbau der Gesellschaft im Faschismus wie bereits in den Jahrhunderten davor erforderte systemimmanent, daß das Wissen um eine anders mögliche Alternative abgespalten und ausgeblendet wurde. Diese Abspaltung war Bestandteil einer Reduzierung von Legitimationskosten im Zuge der installierten hierarchisch-monokratischen Personenanordnung, in der die Untergeordneten keinen Kostenvergleich alternativer Modelle durchführen und statt dessen den blinden Glauben an die Richtigkeit ihrer alternativlosen »Wahl« wahren sollten. Deswegen ginge es bei einem Streit über die Existenz ideologischer Verkürzungen auch nicht um konkrete Personen, die absichtlich oder im Irrtum befindlich Ideenträger der Verkürzung waren, sondern Thema ist das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten und Wirkungsannahmen im Kausalzusammenhang. Ein begründet erweiterter Ansatz läßt Alternativen denkbar werden und schafft eine andere Erkenntnisgrundlage für das Experiment, das dann als neue Tatsache bestätigend oder widersprechend auf die Theorie zurückwirkt.

Fußnoten
[657]
Siehe hierzu ganz grundlegend HEINRICH POPITZ: Prozesse der Machtbildung. Tübingen 1969.
[658]
Eine Vertiefung dieses Zweiges der Diskussion verspricht die Arbeit von BERNHARD VOGT, die soeben als Dissertation eingereicht wurde und voraussichtlich unter dem Titel »Wirtschaft, Wissenschaft und Ethik. Franz Oppenheimers liberaler Sozialismus. Bodenheim 1997« veröffentlicht wird.
[659]
Die Vorstellung, daß es eine müßige, denkende oder regierende Klasse geben müsse, die über dem Volk stehe, war bereits bei den Physiokraten vollkommen ausgebildet: „Für sie ist die »classe noble« als die »classe disponible« des Königs, aus der er die Richter und sonstigen Beamten und die Heerführer und Offiziere entnehmen kann, eine unbedingte Voraussetzung des gesunden Staatslebens; diese Vorstellung ist dann in den Gedankenkreis der Großbourgeoisie übergegangen. SISMONDI, der Genfer Patrizier, schreibt, die Reichen hätten zwei Prärogative, deren Vorteile sich der ganzen Gesellschaft bemerkbar machen: »Die eine besteht darin, ihre Muße zur Ausbildung ihres Geistes, die andere darin, ihren Überfluß zur Linderung des Unglücks nutzbar zu machen; ohne sie müßte jede Nation schnell in Unwissenheit, Barbarei und Selbstsucht verfallen« (Fußnote im Text: SISMONDI, Etudes sur l'Economie politique, S. 9 f; vgl. auch S. 174 f, wo die Reichen als die notwendigen Konsumenten des geistigen Reichtums erscheinen.). Die Frage, ob die Existenz des Reichtums nicht etwa irgendwie mit der Armut und der Unwissenheit zusammenhängt, stellt sich, im Banne der von uns widerlegten Täuschung, nicht einmal dieser ebenso feingebildete wie volksfreundliche Denker. Da wird man sich nicht wundern, wenn Köpfe viel geringeren Ranges, z. B. ein TREITSCHKE, dieselbe Melodie aufspielen, so oft sich die Gelegenheit dazu bietet: »Wir kommen zu der Erkenntnis, daß die Millionen ackern, schmieden und hobeln müssen, damit einige Tausend forschen, malen und dichten können. Das klingt hart, aber es ist wahr und wird in alle Zukunft wahr bleiben« (Fußnote im Text: TREITSCHKE, Politik I, S. 51.).“ FRANZ OPPENHEIMER, System II, Der Staat, S. 336 f.
[660]
Duden, Bd. 5, Das Fremdwörterbuch, Stichwort »divide et impera!«, Mannheim 1982, S. 194.
[661]
Der »Glaube an die Legitimität der Herrschaft« fand das besondere Interesse MAX WEBERs im Rahmen seiner Herrschaftssoziologie. Vgl. JOHANNES WINCKELMANN: Legitimität und Legalität in Max Webers Herrschaftssoziologie. Tübingen 1952, S. 25.
[662]
JOSEF GOEBBELS 1931, zitiert nach ULRIKE HÖSTER-PHILIPPS: Wer war Hitler wirklich? Großkapital und Faschismus 1918 -1945. Köln 1978, S. 112.
[663]
ADOLF HITLER 1926, zitiert nach ULRIKE HÖSTER-PHILIPPS: Wer war Hitler wirklich? A.a.O., S. 112.
[664]
ADOLF HITLER am 1. Mai 1933, zitiert nach ULRIKE HÖSTER-PHILIPPS: Wer war Hitler wirklich? A.a.O., S. 184.
[665]
Fußnote im Zitat: „Vgl. E. BOETTCHER, Zielsetzung und Anspruchsniveau der Genossenschaftswissenschaft, in: E.-B. Blümle (Hrsg.), Erwartungen der Genossenschaftspraxis an die Wissenschaft, Göttingen 1979, S. 60 ff.“
[666]
Fußnote im Zitat: „Vgl. E.-B. BLÜMLE, Die Genossenschaftswissenschaft - Ärgernis für die Praxis oder Anwalt für ein glaubwürdiges Genossenschaftswesen?, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen 3/1990, S. 169 ff.“
[667]
Fußnote im Zitat: Vgl. O. HAHN, Die Krise der Genossenschaftsbewegung als Chance zum Neubeginn, in: Verbands-Management 3/1991, S. 48 ff.“
[668]
WILHELM WEBER und JOHANN BRAZDA: »Genossenschaftliches Handeln« -zwei neuere theoretische Ansätze. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, H. 1/1993, S. 99 -107, hier S. 99.
[669]
Ein erster »Nachruf« mit konstruktiver Gegenargumentation erschien bereits 1968. Darin heißt es über die genossenschaftlichen Praktiker: „Spricht man sie hart auf hart an, so meinen sie, der Genossenschaftsgedanke wäre eine abgeschriebene Sache, etwas für unsere Väter, aber doch nichts mehr für moderne Menschen. Gleichzeitig können sie aber aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen, wenn sie gezwungen sind, etwas von höherer Warte aus in einer Versammlung über die Genossenschaft zu sagen. Dann geht das alte Herz mit ihnen durch.“ CORNEL J. BOCK: Unzeitgemäße Betrachtungen zur Genossenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 18, 1968, S. 43 -63 und Bd. 19., 1969, S. 22 -34, hier S. 43 f.
[670]
„Seit Beginn des 20. Jahrhunderts enthalten nahezu alle volkswirtschaftlich orientierten Beiträge der Genossenschaftsliteratur den Hinweis, daß die Genossenschaften in der Volkswirtschaftslehre nicht oder nur ungenügend beachtet worden seien. Diese Aussage scheint mit WYGODZINSKI (1911), SASSEN (1914), LIEFMANN (1927), EMELIANOFF (1948), OHM (1955) und ESCHENBURG (1971) zu einer festen Überlieferung der Genossenschaftsliteratur geworden zu sein.“ Demgegenüber zeigt HOPPE weitgehend unbekannte Beiträge zum Genossenschaftswesen bei J. ST. MILL, CAIRNES, PARETO, MARSHALL, PIGOU, GOBBI, PANTALEONI, FAWCETT, WALRAS und BARONE auf. MICHAEL HOPPE: Die klassische und neoklassische Theorie der Genossenschaften. Berlin 1976.
[671]
Vgl. EBERHARD DÜLFER: In Memoriam Reinhold Henzler. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 19, 1969, S. 2 -4.
[672]
Vgl. ERICH EGNER: Frankfurter Erinnerungen aus den Jahren 1935 -1939. In: Bertram Schefold (Hg.), Wirtschafts-und Sozialwissenschaftler in Frankfurt am Main, Marburg 1989, S. 129 -136, hier S. 133.
[673]
REINHOLD HENZLER: Erneuerung des deutschen Genossenschaftswesens. Berlin 1934, S. 3.
[674]
REINHOLD HENZLER: Erneuerung des deutschen Genossenschaftswesens. Berlin 1934, S. 36 -39.
[675]
GERT-JOACHIM GLAEßNER und KLAUS-JÜRGEN SCHERER: Korporation oder Kooperation Reaktionäre Gemeinschaftsideologien in Deutschland, Italien und Spanien. In: dieselben (Hg.), Auszug aus der Gesellschaft? Gemeinschaften zwischen Utopie, Reform und Reaktion. Berlin 1986, S. 63 -86, speziell S. 72 ff.
[676]
REINHOLD HENZLER: Erneuerung des deutschen Genossenschaftswesens. Berlin 1934, S. 24 und 25.
[677]
BRUNO SEIDEL: Georg Weipperts Aufsätze zur Wissenschaftslehre im Rahmen seines Gesamtwerkes. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 19, 1969, S. 205 223, hier S. 213.
[678]
FRIEDRICH KLEIN: Heinz Paulick zum 65. Geburtstag. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 23, 1973, S. 209 -211, hier S. 211.
[679]
FRIEDRICH KLEIN: Heinz Paulick ..., a.a.O., S. 209.
[680]
OSWALD HAHN: Zum 28. Februar 1973: Josef M. Back 70 Jahre. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 23, 1973, S. 1 -2, hier S. 1.
[681]
Vgl. JOSEF M. BACK: Die Entwicklung der reinen Ökonomie zur nationalökonomischen Wesenswissenschaft. Jena 1929, S. 15.
[682]
JOSEF M. BACK: Die Entwicklung ..., a.a.O., S. 14 f.
[683]
OSWALD HAHN: Zum 28. Februar 1973: Josef M. Back 70 Jahre, a.a.O., S. 1. Hervorhebung W.K.
[684]
Vgl. JOSEF M. BACK: Die Entwicklung der reinen Ökonomie ..., a.a.O., S. 211 und 220. Ebenso JOSEF BACK: Der Streit um die nationalökonomische Wertlehre mit besonderer Berücksichtigung Gottls. Jena 1926. GERHARD STAVENHAGEN, Geschichte der Wirtschaftstheorie, Göttingen 1969, nennt JOSEF M. BACK (S. 201), GEORG WEIPPERT (S. 208) und HANS-JÜRGEN SERAPHIM (S. 209) in direkter Linie mit der von GOTTL aufgelegten »ontologischen Schule«. Sie stehen bei STAVENHAGEN ohne politische Wertung rein sachlogisch in einer Reihe mit der Gedankenwelt OTHMAR SPANNs (S. 209), der als Cheftheoretiker des autoritären Ständestaates und der Heimwehr in Österreich dem Faschismus zugearbeitet hat. Vgl. DIRK KÄSLER: Soziologische Abenteuer, a.a.O., S. 116; GERHARD JAGSCHITZ: Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich, Graz u.a. 1976, S. 15 f.
[685]
Man muß an dieser Stelle über die Stellung der Juden in Deutschland einmal anmerken, daß diese niemals zu der herrschenden Klasse des Staates gehört haben. Als intellektuell hochstehende Bevölkerungsgruppe, die durch Ressentiments bis 1918 von vornherein von höheren Positionen in Militär, Wissenschaft und Staatsverwaltung ausgeschlossen war, kamen aus diesen Reihen die schärfsten Forderungen nach einer Demokratisierung des autoritären und herrschaftlichen Staates. So war die erste Demokratisierung Deutschlands wohl zu einem beachtlichen Anteil ein von Juden getragenes Projekt.
[686]
Ich möchte hier keineswegs den Eindruck erwecken, als hätte die Genossenschaftstheoretiker nach 1945 alle auf einem Standpunkt gestanden. Aber selbst wenn Veröffentlichungen z. B. von W. P. WATKINS, WALTER PREUSS oder HENRIK F. INFIELD von einem frischen Geist durchweht sind, so haben sie auf den Mainstream »deutscher« Theorie zumindest vor 1970 kaum Einfluß genommen.
[687]
WOLFGANG BEYWL und BURGHARD FLIEGER: Genossenschaften als moderne Arbeitsorganisation, a.a.O., S. 19.
[688]
Eine solche Forschung des Menschen über seine eigenen sozialen Aggregationen hätte zur optimalen Voraussetzung, daß aus allen sozialen Schichten Personen als Sprecher in die Forschung gelangten und die Freiheiten und qualitativen Selektionsprozesse in der Institution Wissenschaft weniger an die ordnungsgemäße Reproduktion tradierter Lehrmeinungen gebunden wären, sondern an die diskursive Haltbarkeit vor einem sozial heterogen strukturierten Forum. Es müßte ferner sehr viel mehr Zeit für den kommunikativen Vermittlungsakt aufgewendet werden, was natürlich zu Lasten jener Zeit ginge, in der die Wissenschaftler alleine in ihren Stuben sitzen und ihren singularen Bewältigungsstrategien nachgehen.
[689]
Nur wenige Unternehmen verstehen sich inzwischen so weitgehend als »Dienstleister« an der Gesellschaft und gegenüber ihren Mitarbeitern, daß die von ihnen geschaffene Lebensqualität parallel zu den wirtschaftlichen Sachverhalten thematisiert wird. Das »Wirtschaften mit und für Menschen« steht als Gegenpol zu der »Wirtschaft als Profitmaschine«, in der apriori alles »gut« ist, was die Lasten auf andere abwälzt und den Nutzen für einige Profiteure maximiert.
[690]
Die »Ethik« behandelt ja nichts anderes als die Gesamtheit moralischer Lebensgrundsätze. Sie ist als solche Bedingung menschlichen Seins und Inbegriff der Humanität, weil in ihr der Mensch sein »Mensch-Sein« thematisiert und mit der Bewußtheit ausstattet, die ihn über andere Lebewesen hebt. Die »Ökologie« hingegen ist nicht einfach eine »Umweltwissenschaft«, sondern thematisiert den Lebensraum, wie er wiederum erstrangig von Menschen wahrgenommen und gewünscht wird. Neben dem rein naturwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse steht hier die Frage des »Mensch-Seins« in seiner Wechselwirkung mit dem den Menschen umgebenden Lebensraum zur Debatte. Es sind die menschlichen Sinne, die gewisse Zerstörungen reklamieren und die Frage aufwerfen, ob der Nutzen deseinen den Schaden der Allgemeinheit rechtfertigt. Beide Themengebiete, Ethik und Ökologie, sind natürlich nur diskutierbar, sofern es eine Allgemeinheit mit Stimme gibt. Das heißt, ihnen geht ein Vergesellschaftungsprozeß der Individuen notwendig voraus. Im Zuge der Verbindung von Individuen zu Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften entstehen die Kultur, die Sitte, der Begriff des Humanen und der Anspruch an seine Qualität, so daß die »Humanität« als Stellvertreterin der verschiedenen Facetten in dem gleichen Prozeß angeführt werden kann.
[691]
... und schon gar nicht, wenn die Krankenkassen und Lebensversicherungen von den Kraftwerksbetreibern heute die Rücklagen für alle statistisch erwartbaren Krankheits-und vorzeitigen Sterbefälle der nächsten 10.000 Jahre einfordern dürften, wo die in den Verkehr gebrachten Materialien und Freisetzungen der Betreiber immer noch ihren Schaden anrichten, aber wofür die Betreiber schlicht die Verantwortung ablehnen bzw. im Schutze des für solche Fälle veralteten Rechtssystems die zukünftigen Lasten auf den Staat, zukünftige Gesellschaften und betroffene Einzelpersonen abwälzen.